Erster Ausflug in den Norden: Mon Choisy
& Les Cannoniers, Grand Bay, Pérey Bère
Weil wir keine bornierten Hotelhocker sondern
verantwortungs- und pflichtbewußte Aktivtouristen sein wollten, nahmen wir uns
vor, unseren schönen aber, so waren wir überzeugt, in seiner Sauberkeit und
Perfektion überaus unauthentischen, wenn nicht gar unmauritanischen Wohnbums
auch mal zu verlassen und zu schauen, wie es draußen im Land so zugeht, wie man
dort wohnt, lebt und arbeitet.
Also mieteten wir ein bereits stark abgegriffenes,
brombeerfarbenes japanisches Kleineuteken, stürzten uns, ich als inzwischen
geübter Linksverkehrer
kaum noch mit dem Seitenwechsel fremdelnd, auf die mauritanischen Straßen und
fuhren unter der Beschallung in weiser Voraussicht selbst gerösteter CDs, die
uns davor bewahrten, uns der bereits im Player harrenden „Michael Bublé“-Folter
auszusetzen, gen Norden.
Als erstes besichtigten wir den öffentlichen Mon
Choisy-Strand, wo Einheimische und Touristen in trauter Eintracht die Leiber
dem indischen Ozean überantworteten.
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Die gepiercten Genitalien, den Geruch nach Marihuana und den Scott McKenzie-Song im Hintergrund denke man sich bitte |
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Wer hatte, stieg in Jolle, Laser, Katamaran, Barke, Schaluppe, Kogge, Langboot oder Karavelle und ließ sich treiben. Andere schwammen Brust. |
Da der Reiseführer, dem wir die Anregung entnommen hatten, den
„Point aux Cannoniers“ zu besuchen, wohl noch aus der Zeit stammte, als man mit
den namengebenden Haubitzen noch von den französischen Garnisonsmauern
verdammte Tommy-Schiffe zu versenken pflegte, war ihm nicht bekannt und uns
erst bewußt, daß sich dort inzwischen einfach nur diverse Hotels befinden, als
wir auf der Suche nach den Kanonen mit unserer Brombeere schon fast in deren
Einfahrt standen. Wir wendeten und the Cloud nahm’s gelassen
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She don’t need Cannonpower when she’s rockin’ deese guns! |
Also weiter nach Grand Bay, wo wir absichtlich alsbald die
lange und touristische Einkaufsstraße verließen, um mal hinter die Fassade zu
blicken.
Hier und auch in den Dörfern, durch die wir auf dem Weg hierher
gefahren waren, erinnert mich Mauritius mit seinen Strassen, Häusern und deren
Bewohnern sehr an die nicht glitzerweltigen Teile der Côte d’Azur nur in etwas „älter“ und schmuddeliger und ein
wenig heruntergekommen, aber mit einem gewissen, abgeschabten Vintage-Charme.
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Straßenhändler mit Obst. DA ist die Kiste, die Himmler gesucht hatte! |
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Ob die wohl selber überhaupt gegen irgendwas versichert
sind?
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Vive la france! (Zufall oder Sarkasmus?)
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Ich hätte auch gerne ein Boot in der Garage |
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Overstatement? Kann der Mauritanier.
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Das Verkehrsschild hat seine besten Tage hinter sich, aber
das Männchen hat immerhin Absätze an den Schuhen.
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Nach der Arbeit ein lecker Süppchen. Und dazu? Ein koffeinhaltiges Brausegetränk? |
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Jaha, auch auf Mauritius gibt es einen Sunset Boulevard! |
Alles ist ein wenig abgestoßen und angeschangelt, Farben sind verschossen, Lack blättert ab, Stoffe sind verschlissen oder abgewetzt, vieles ist rostig oder ausgebessert und immer werkelt irgendwer an irgendwas, flickt es liebevoll mit Draht oder Klebeband. Viele
Leute die mit dem Bus oder zu mehreren auf uralten Mopeds fahren oder auf - gerne und mit größter Selbstverständlichkeit auch mitten auf der Schnellstraße - noch älteren Fahrrädern gaukeln sind wahrscheinlich eher arm aber keiner hier ist elend und das hat mir gut
gefallen. Es gibt keine Bettler und keine Menschen, die Hunger leiden müssen und die Leute sind auch außerhalb des Hotels freundlich und wirken eigentlich zufrieden und einverstanden mit ihrem Leben in diesem schönen Land.
Wir haben gelesen und für unseren Eindruck hat sich das bestätigt, daß ein Punkt, der das Leben hier so angenehm macht, ist, daß hier alle Religionen, Hindus, Christen, Moslems, Tamilen etc. friedlich neben- und miteinander leben und sich gegenseitig in Ruhe im Sinne von gelten lassen. Bei Claudia gibt's Bilder zu den Tempeln, die wir gesehen haben. Ich berichte lieber von einer anderen bemerkenswerten Stätte, die den mauritianischen Panökumenismus auf extrem eindrückliche Weise illustriert: der Friedhof bei Pérey Bère ist sicher der merkwürdigste und interessanteste Totenhain, den ich je gesehen habe.
Hier liegen Christen, Juden, Moslems, Hindus und Konfessionsfreie nicht zusammen, sondern durcheinander und so ungeordnet wie im Leben geht es hier auch im Tod zu.
Dieser Friedhof, der kaum beschattet von Bäumen in der prallen Sonne liegt und von dem aus die Toten eine beeindruckende Aussicht genießen könnten,
Hier liegen Christen, Juden, Moslems, Hindus und Konfessionsfreie nicht zusammen, sondern durcheinander und so ungeordnet wie im Leben geht es hier auch im Tod zu.
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Das Grab eines Moslems. Erfrischende Abwechslung. |
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Hier (?) ruht eine Gazelle. Jedenfalls ihr Grabkreuz. |
Dieser Friedhof, der kaum beschattet von Bäumen in der prallen Sonne liegt und von dem aus die Toten eine beeindruckende Aussicht genießen könnten,
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Grab mit Meerblick? Nehm ick! |
hat nichts von der drückenden Pietäts-Schwere europäischer
Pendants mit ihren rechtwinkligen Grabanlagen und bitteren, graugesichtigten
Greisinnen, die an den Gräbern verblichener Gatten Dienst tun und mit der der Gießkanne ebenso
schnell bei der Hand sind, wie mit der Beschwerde bei der Friedhofsaufsicht, geht es drunter und drüber
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windschiefer Miniobelisk neben windschiefem Grabstein vor total schiefer, desolater "Wanne" |
und ist der Friedhof auch ein Ort der lebendigen Lebenden,
die hier offenbar Partys feiern,
grillen und ihren kompletten Müll gleich
dort lassen
Aber auch die andere Wirbeltiere vergnügen sich hier, z.B.
eine Herde wilder Ziegen, die hier offenbar lebt und „arbeitet“
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Den Bock zum Friedhofsgärtner machen: Grabpflege auf mauritianisch |
und ich schätze, wilden Hunden ist es zuzuschreiben, daß
die als ewig beabsichtigte Ruhe des ein oder anderen Anwohners wohl eine rüde
Unterbrechung erfahren hat
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irgendwie Arm, daß die nicht raffen, daß es sechs Fuß tief sein muß, nicht bloß "Schippe Erde drauf" |
Und das war für mein Empfinden auch die Kehrseite dieses Ortes. Neben all der Leichtigkeit und Gelöstheit, die diese Art von Umgang mit dem Tod vermittelt, bedrückt einen doch die Verwahrlosung und das enorm schnelle Vergessen, das viele Grabstellen eher wie Deponien denn als Orte der Erinnerung erscheinen lassen.
Heuer steht da einer der nicht so häufigen Christenbetbümse
mit rotem Häublein.
Nach dem Friedhof fuhren wir noch beim Cap Malheureux
vorbei, das so heißt, weil dort mal ein Schiff in Seenot geraten und mit Mann
und Maus versunken ist.
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ist gar nicht so übel da |
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freundliche Adventisten beim Fensterwienern |
An diesem Tag war offenbar Hausputz, denn die gesamte
Gemeinde war versammelt und scheuerte den Kasten und die Bänke, die sie nach
draußen geschleppt hatten, hingebungsvoll sauber. Jeder braucht ja ein Hobby….
Soviel vom Ausflug in den Norden...
Nach diesem Schabernack ging es aber dann endlich zum Canyon-Swing, zu dessen Stätte, dem Canyon, uns ein unfassbares Ungetüm von ungefedertem Safari-Bus über eine aus Buckeln und Löchern bestehende Piste holperte, daß wir schon dachten, die Busfahrt sei die eigentliche Mutprobe. Am Canyon angekommen schirrten uns freundliche Mauritier an:
und führten uns einen Trampelpfad zum Canyon. Weil ich am mutigsten aussah und das coolste T-Shirt anhatte, wurde verfügt, daß ich als erster müsse. Es handelte sich dabei, wie ich 20 Sekunden vorher erfuhr, um eine Art-Bungee-Sprung, nur daß man nicht federt, sondern pendelt: man springt aus 45m Höhe in einen Canyon und pendelt dann an einem Stahlseil hin und her über dem Abgrund. Ich sagte: ach so. Der Typ sagte: "You ready?" und auf mein "Ähhh... I think so..." ließ er das Seil los und ich wurde über die Klippe gerissen. Dann war's eigentlich ganz schön:
Zweiter Ausflug in den Süden: Black River National Park und
Casela-Park
The Cloud hatte im Süden zwei nahe
beieinanderliegende Parks ausfindig gemacht: einen Nationalpark, in dem wir als
engagierte Aktivtouristen die Schönheiten des mauritianischen Binnenlandes zu
bestaunen gedachten und einen Erlebnispark, mit Tieren, Rutschen und „Canyon
Swing“ (ich wußte, bis ich in die Tiefe stürzte, eigentlich nicht, was das
ist), um nach der Naturandacht auch noch wat Spaß inne Backen zu kriegen.
Wieder mieteten wir ein Auto,
bekamen diesmal eine komfortable Limousine „for the same price“ und brausten
wohlklimatisiert und zivilisiert (Carni-fuckin-fex!) in den brodelnden Moloch namens
mauritianischer Straßenverkehr, dessen irrsinniges Zentrum in der Hauptstadt
Port Louis liegt, durch die wir mußten.
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im Ver-, im Verkehr |
Der Verkehr hier richtet sich
weniger nach einer Strassenverkehrsordnung, die es hier vermutlich gibt, die
aber wohl eher als Sammlung freundlicher Empfehlungen aufgefaßt wird, als viel
mehr nach einem Gentlemen’s Agreement: fahren und fahren lassen. Wenn es einer
eilig hat und extra hupt, dann hat er auch Vorfahrt, egal aus welcher Richtung
er kommt und wenn ein Motorradfahrer nach Hause will, dann spielt die
Straßenseite, auf der er dorthin fährt, nur eine beiläufige Rolle. Die Autofahrer, die ihm entgegen kommen, sehen
ihn ja schließlich. Überhaupt: daß die überaus zahlreichen (Kraft)zweiradfahrer
nicht zu plattgefahrenen Dutzenden die mauritianischen Straßen säumen, grenzt
an ein Wunder, vor allem, wenn man versteht, daß ein Moped oder Motorroller
hierzulande gut und gerne ein Auto ersetzen kann: wir sahen einen Herrn mit grotesken
Mengen auf abenteurliche Weise befestigten Ernteguts bei minimaler Sicht auf einem klapprigen Mofa über die
Schnellstraße eiern, einen Radfahrer, der, ebenfalls mitten auf der Schnellstraße,
mit schweren und bedrohlich pendelnden Einkaufstaschen an beiden Lenkerseiten
Schlangenlinien fuhr und eine komplette, dreiköpfige Familie, samt Einkäufen
und schwer adipöser Mutter wie Orgelpfeifen auf einer keuchenden, schicksalsergebenen Vespa nach
Hause tuckern.
Und wenn ein Mauritaner schnell
Baguette holen und/oder seinem Freund am Straßenrand etwas lustiges, das ihm heute passiert ist, erzählen
will, dann läßt er sein Auto eben kurz dort stehen. Daß sich daraufhin auf der
zwar schmalen aber beidseitig stark befahrenen Straße ein vertiabler Impromptu-Stau ergibt, ist für ihn zweitrangig, schließlich stand er auch schon selber in
Hunderten solcher Staus und wozu gibt es Hupen. Die sind hier ein vollwertiges
Kommunikationsmittel und Instrument, um seinen Gefühlen differenziertesten Ausdruck zu verleihen.
Natürlich braucht man in dieser
Art von Verkehr für 40 km ca. 1 ½
Stunden und irgendwann bogen wir also endlich auf eine Dreckpiste ein, die dem
Navigationsgerät zufolge zum Nationalpark „Black River“ führen würde. Stattdessen war es wohl nur eine
Art Landwirtschaftsweg, über den wir ca. 20 Minuten im Schneckentempo (da die
Schlaglöcher den Achsen sonst wohl den Garaus gemacht hätten) schlichen und
keinem einzigen anderen Menschen begegneten.
Als wir schließlich an einem Tor
ankamen,
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Understatement oder Wrong Turn? Ich fühlte mich jedenfalls auch wie ein Tor. |
beschlich uns der leise Verdacht, daß es sich dabei nicht um den
Eingang zum Park handelte, worauf wir, das Navi verfluchend, uns auf den ebenso
meditativen Rückweg machten. Unterwegs passierten wir die Butze eines Bewohners dieses gastlichen Landstrichs
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wohnt sich doch ganz kuschelig, im Nirgendwo, oder? |
Aber schön haben sie es hier doch:
Danach ging es in den Casela-Park,
wo wir einen Termin hatten: ja, auf Mauritius gibt es Termine in Freizeitparks:
um 15 Uhr sollten wir zum Canyon-Swing abgeholt werden. Zuvor jedoch stromerten
wir durch den Park. Dort gab es Tiere
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zum Beispiel die uralte Morla
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Zombie-Truthähne |
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rührende Verbrüderungsszenen
zwischen Schweinchen und Reh
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und natürlich die mit the Cloud
unvermeidlichen Grabbelorgien, wobei sie auch vor weniger handschmeichlerischen
Kameraden nicht Halt machte.
Es hatte sogar ein Nilpferd-Gehege, wo es zwar keine Nilpferde, dafür aber ein witziges Schild gab:
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HASE! |
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das Reh hat Claudia gehasst |
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Leguan Joe fand's geilo |
Es hatte sogar ein Nilpferd-Gehege, wo es zwar keine Nilpferde, dafür aber ein witziges Schild gab:
Für mich viel spannender war die
„Avalanche Mine“, eine lange, sehr steile Rutsche, die man auf einem Reifen
runterheizen konnte, um dann mit der richtigen Geschwindigkeit von einer
Sprungschanze in die Höhe geschossen zu werden und auf einem riesigen
Luftkissen zu landen. Etwa so:
Das Mädchen macht es richtig: es
hält sich bis zur Landung am Reifen fest. Ich vergaß diese komplizierte
Anweisung im Rausch der Geschwindigkeit natürlich und, naja, seht selbst:
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DEATH FUCKIN METAL!! |
Nach diesem Schabernack ging es aber dann endlich zum Canyon-Swing, zu dessen Stätte, dem Canyon, uns ein unfassbares Ungetüm von ungefedertem Safari-Bus über eine aus Buckeln und Löchern bestehende Piste holperte, daß wir schon dachten, die Busfahrt sei die eigentliche Mutprobe. Am Canyon angekommen schirrten uns freundliche Mauritier an:
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Helm und Handschuhe hätt's im Nachhinein nicht gebraucht |
und führten uns einen Trampelpfad zum Canyon. Weil ich am mutigsten aussah und das coolste T-Shirt anhatte, wurde verfügt, daß ich als erster müsse. Es handelte sich dabei, wie ich 20 Sekunden vorher erfuhr, um eine Art-Bungee-Sprung, nur daß man nicht federt, sondern pendelt: man springt aus 45m Höhe in einen Canyon und pendelt dann an einem Stahlseil hin und her über dem Abgrund. Ich sagte: ach so. Der Typ sagte: "You ready?" und auf mein "Ähhh... I think so..." ließ er das Seil los und ich wurde über die Klippe gerissen. Dann war's eigentlich ganz schön:
Hab mich jedenfalls nicht hängen lassen:
Auch the Cloud hat es gut gemacht und neben Schiß inne Buchse auch viel Spaß inne Backen und sie wird sicher davon berichten. Danach machte der Park zu und wir fuhren heim, wobei der Verkehr noch schlimmer war als auf dem Hinweg. An den zahlreichen Verkehrs-, Straßen- und Werbeschildern stellten wir ein ums andere Mal fest, daß hier wirklich drei Sprachen, Englisch, Französisch und Kreolisch, völlig gleichberechtigt nebeneinander gesprochen werden, was schon irgendwie cool ist, so wie die ganze Kultur hier und auch das Alltagsleben ein wilder Mix aus den verschiedensten Einflüssen ist und zugleich irgendwie europäisch-vertraut (die Assoziation zum alpes maritim Frankreich hat sich nur verstärkt), chaotisch-indisch-fremdartig und exotisch-urlaubig wirkt.
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