Da ich keine Lust hatte, lange Schlange (!) vor dem Original-Schild zu stehen, nahm ich eben das hier |
Schon als ich gegen 18 Uhr das Flughafengebäude verließ, um mich in die lange Schlange derer, die auf einen Shuttle-Bus zum Autoverleih warteten, einzureihen, traf mich hitzehalber fast der Schlag. Deutlich über 40°C! Man beginnt nach wenigen Augenblicken zu schwitzen, eine gewisse Trägheit und Lähmung setzen ein (man kann den Südeuropäern ihre Siesta zur Mittagszeit wirklich nicht verdenken). Schicksalsergeben und transpirierend schlurfte ich in der Schlange Schritt um Schritt, Bus um Bus der Einstiegsstelle entgegen: meine schiere Existenz strengte mich an.
Wie soll man bei dieser Affenhitze bitte irgend etwas im Freien unternehmen? Die sehr nette und sehr geschminkte und beperückte Transfrau Anna, bei der ich die Autoleihformalitäten abarbeitete, bestätigte, daß „that’s not normal“ und es letzte Woche viel angenehmer gewesen sei. Gutes Timing, wa? Man überließ mir einen Toyota Corolla, in dem ich ersteinmal zu einem Wallmart Supercenter in der Nähe rollte, um mir so ein Ding (das sonntagsabends selbstverständlich auf hat) mal anzusehen
Soooo muß ein Cornflakes-Regal aussehen |
und um halbwegs bezahlbares
Wasser und vielleicht ein paar Bananen, um über die Tage zu kommen, zu kaufen. Es
ist auf jeden Fall groß. Und gar nicht mal so günstig. Auf jeden Fall teurer
als in Deutschland und das im Wallmart. Wie machen das die Amis, mit ihren noch
geringeren Einkommen? Ich habe auch gleich mehrere in Fettsackwägelchen
gesehen: also Fette, die so fett sind, daß sie nicht mehr laufen können/wollen
und in kleinen Elektroäuteken fahren :D Es gab sogar Leih-Fettsackwägelchen (für die Fetten, die ihr eigenes Fettsackwägelchen nicht in ihr Auto kriegen) und Fettsackwägelchenaufladestationen, wenn man vor dem Einkaufen erst nochmal "tanken" muß.
Als ich rauskam, dunkelte es bereits und als es mir schließlich gelungen war, die Einfahrt für das Self-Parking meines Hotels (18$ pro Tag, *katsching*), das Bally‘s,
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so, da so (17. Stock) |
zu finden, war es komplett dunkel. Also der Himmel, sollte ich sagen, Las Vegas war natürlich von einer TrilliardeN Lichtern quietschbunt hell erleuchtet und Menschenmassen waren auf den Straßen unterwegs.
Schon auf dem Weg durch den, wie alles hier, gigantischen Hotel-Casino-Komplex bemerkte ich, daß das hier alles nicht meins ist,
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so sieht das überall aus |
zumal mich Glücksspiel in etwa soviel interessiert, wie den Wölki gute PR und Opferentschädigung. Ich erhielt meine Zimmerkarte (nochmal +45$ pro Nacht „Ressort Fee“ kamen oben druff – man gönnt sich ja sonst nichts), fuhr mit einem der 8 (!) Lifte in den 17. Stock und war endlich angekommen. Das Zimmer war kühl, geräumig und angenehm. Zum Glück, denn ich ahnte bereits, daß ich hier eine Menge Zeit verbringen würde.
Ich machte mich kurz frisch, wie man sagt, und dann auf den Weg, um erste Blicke zu werfen und noch etwas zu essen zu finden. Kurze Zeit später stand ich auf dem Las Vegas Boulevard, genannt dem „Strip“ und alles, der ganze Irrsinn dieser Stadt, stürzte auf mich ein:
ich bin kein Fan |
Mein erster, unredigierter und vielleicht etwas unfairer Eindruck von Las Vegas:
Hier ist alles und von allem zu viel - viel zu viel! Zu viele Menschen und Lichter, zu viel Lärm, Geschrei, Verkehr, zig gegeneinander anplärrende Musikanlagen, zu viel Hitze (später um 23 Uhr waren es noch 33°C), zu viele Angebote und Attraktionen, zu viel Auswahl, zu viele Gerüche, zu viel Bombast, zu viel Reklame, zu viel Konsum, zu viel halbnacktes, tätowiertes Fleisch in zu kurzen oder gleich ohne Kleider, zu viel, zu viel! Wie soll ein Mensch das ertragen?! Man weiß nicht, wo man hingucken, wohin man gehen, worauf man hören, was man (außer dem allgegenwärtigen Marihuana) riechen soll. Und zugleich ist das ganze maximal unpersönlich, man ist ein Nichts, eine gesichtslose potentielle Einnahmequelle, eine Geldbörse auf zwei Beinen, ein Renditepartikel. Das wird auch an den völlig grotesken Preisen deutlich, die hier fast allerorten für fast alles aufgerufen werden, falls man nicht gerade Geld beim Glücksspiel vernichtet (dann sind Getränke umsonst).
Es geht in dieser schrecklichen, geschmacklosen, brachialen, grotesken Stadt, die nirgendwo falscher aufgehoben sein könnte, als inmitten der lebensfeindlichen Wüste, der man sie aufgezwungen hat, nicht um Spaß oder Freude (deutlich zu erkennen, an den verbissenen Gesichtern der Leute, die rauchend in hypnotischem Rhythmus auf den unzähligen Slot-Maschinen herumdrücken), sondern ausschließlich ums Geschäft. Es werden hier erbarmungslos alle marktpsychologischen Tricks angewandt, um die Leute in eine überforderte Sinnesbetäubung, Prassstimmung und Duldungsbereitschaft zu manipulieren, in der sie bereitwillig ihr letztes Geld ausgeben, in der fatalen und orientierungslosen Illusion, Spaß zu haben. Las Vegas packt sie wie Puppen an den Beinen und schüttelt sie solange, bis der letzte Cent heraugepurzelt ist. Und wer nichts (mehr) hat, wird weggeworfen wie Müll:
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habe geschaut:
er hat geatmet :/ wenn er aufwacht, kann er den Menschen um sich herum beim haltlosen Prassen und Verschwenden zusehen und wird von dem leben, was sie wegwerfen |
Eigentlich ist das alles furchtbar leer und traurig und unendlich oberflächlich.
Das alles ging mir durch den Kopf, als ich hungrig den Strip entlang flanierte. Durch geräuschunterdrückende Kopfhörer konnte ich wenigstens meine Klangkulisse selber gestalten (das hier und das hier waren mein Las Vegas-Soundtrack) und so akustisch abgeschottet im Kokon meiner Eigenwelt wurde es deutlich erträglicher, auch wenn mir beim einfachen Flanieren bereits der Schweiß in die Chemisette stieg. Ich wußte schon, wo ich essen wollte, zumal es diese Kette ja inakzeptablerweise in Deutschland nicht gibt, und ließ mir bei Taco Bell einen Taco und einen Burrito schmecken.
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wir brauchen das in Deutschland! Weg mit den Stullenbelegern von Subway, her mit der Taco-Bimmel! |
Am nächsten Morgen war ich schon um 6 Uhr wach und beschloß, die Stadt bei Tageslicht und noch vor der monströsen Mittagshitze zu erkunden und dabei etwas zum Frühstücken zu finden. Um halb 7 war ich schon auf der Straße unterwegs und noch war die Stadt nicht ganz erwacht (wobei sie natürlich niemals schläft – es ist hier zu jeder Uhrzeit etwas los). Durch das bereits jetzt helle Sonnenlicht wirkte sie auch nicht mehr ganz so halbweltlich wie noch in der Nacht zuvor. Allerdings waren es bereits jetzt 30°C und ich versuchte, möglichst im Schatten zu gehen. Ich lief und lief und schaute mir immer noch kopfschüttelnd und musikhörend das morgendliche Las Vegas an; gefrühstückt wurde schließlich im Earl of Sandwich, einem britischen Stullenbeleger, der aber auch Frühstück kann und in einem monolithischen, dunklen Einkaufskomplex, der zum Casino „Planet Hollywood“ gehört, liegt und dessen Inneres, einschl. künstlichen Himmels, mich irgendwie an die Silbermine im Phantasialand erinnerte:
Miracle Mile Mall |
Gegen 10 Uhr war es schon so heiß (deutlich >30°C), daß das Rumlaufen im Freien zusehends unangenehm wurde, so daß ich, der ich ja schon drei Stunden unterwegs war und dabei >9.000 Schritte getan hatte, mich entschloß, zurück ins kühle Hotel zu kehren und mich bald in der absurden Situation fand, mit einem gekühlten Getränk am Schreibtisch in meinem Zimmer zu sitzen, die Stille nur von Beethoven gefüllt, während draußen in der Hitzehölle der Irrsinn wieder Fahrt aufnahm und für all die anderen der Tag erst begann. Mir gefiel das eigentlich außerordentlich gut – Las Vegas kam gut ohne mich aus und vice versa ;D
Später suchte ich das Fitness-Studio im Keller des Hotels (einfach an der „Körperwelten“-Dependance, dem Massage-Studio, dem Süßwarenladen, den brüllenden Videospielautomaten, dem National-Geographic-Foto-3D-Erlebnis, dem Food-Court mit 5 Fressläden (bei einem kostete ein Stück Pizza Peperoni 12 $, die ganze 50 $!!) vorbei, „schon“ ist man da) und danach zur Abkühlung den Hotelpool auf (wobei bei 35°C Wassertemperatur der Erfrischungscharakter des Bades sehr zurückhaltend ist). Am Abend ging ich, einem Tip folgend, ins kleinere und nicht am Strip gelegene Ellis Island Casino wo man im „Village Pub Café“ gut essen kann und hatte lecker Beef Rib French Toast 😊
Ich verbrachte, An- und Abreise nicht mitgerechnet, drei volle Tage in der Stadt, den ersten gerade beschriebenen und die Abende der folgenden nutze ich, um den Strip und viele der angrenzenden Etablissements in Tausenden von Schritten zu erkunden und im Folgenden beschreibe ich ein paar ungeordnete, nicht chronologisierte Eindrücke:
In Las Vegas steht neben ungezählten Hotel-Casino-Hochhäusern, eines bunter und protziger und abscheulicher als das andere, eine Kopie des Eiffelturms (Maßstab 1:2), daneben der Arc de Triomphe mitten in der Stadt,
das Dingen gehört zum „Paris“-Casino, in dem Paris nachgebildet ist |
gegenüber schießen die beleuchteten Belagio-Fontänen Wasser zu Musikbegleitung zig Meter in die Luft,
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Im Takt von "Billy Jean" |
selbst eine Nachbildung von Venedig gibt es hier im Keller des „Venetian“, sogar einschließlich der Kanäle und singenden Gondolieren
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O Sole Mio - auch, wenn er die Sonne nie zu sehen bekommt |
Vor dem Mirage gibt es einen Feuer spuckenden Vulkan:
Es gibt ein gigantisches Riesenrad, den „High Roller,
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einmal fahren 23 Tacken (außer in der Kapsel mit der Bar, da sinds 50 und frei saufen)! |
Flamingos im Flamingo,
und eine Nachbildung von New York und der Freiheitsstatue, in dessen Skyline man eine Achterbahn (was auch sonst) eingeflochten hat:
und so weiter und so immer weiter… der helle Irrsinn eben.
Für den Dienstag (Tag 3) hatte ich eine Bustour zum Western Rim des Grand Canyon auf dem Gebiet der Hualapai Indianer gebucht und zum Hoover Dam, der den Colorado River in den Lake Mead staut und wurde vom Bus bereits um halb 7 vor dem Hotel eingesammelt. Mittwoch (Tag 4) stand ich um halb 5 auf und saß um 5 im Auto auf dem Weg ins Valley of Fire, wo ich um 6 den Sonnenaufgang erlebte und schon früh wanderte, um der mörderischen Hitze zu entgehen. Von beiden Touren berichte ich an anderer Stelle.
Donnerstag war der letzte Tag in Vegas. Ich schlief etwas länger, ging noch einmal zum Earl of Sandwich frühstücken, packte meine Sachen und trat die 4,5-stündige Fahrt nach Page, Arizona an. Zur Fortsetzung….
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Nach diesen 5 Tagen Las Vegas fällt mein endgültiges Urteil über diese Stadt etwas milder und differenzierter aus:
Wie die eigentliche Stadt Las Vegas ist, weiß ich überhaupt nicht, da ich so gut wie nur den Strip und ein paar Straßen beim Durchfahren gesehen habe (man kann auch nicht Hamburg beurteilen, wenn man nur auf der Reeperbahn war). Ich kann also gar nicht sagen, was sich da außer dem Irrsinn am Strip noch so abspielt und wie man als normaler Las Vegasianer, falls es die gibt, so lebt.
Aber Millionen Menschen aus der ganzen Welt wollen hier offenbar dringend hin, kommen immer wieder und sin glücklich hier und neben Glücksspiel (und Sportwetten, das ist so ein neues großes Ding) bietet diese „Stadt der Sünde“ ja auch haufenweise weitere plebejische Vergnügungen, darunter die großen Shows aller möglichen Künstler, Fahrgeschäfte, den Suff, den (THC)-Rausch, käuflichen Sex (die machen das hier nicht mit Straßenprostitution oder Bordellen – das ist verboten, sondern mit Escort-Damen, das geht offenbar), viel Essen (von absolutem Junk zu Spitzengastronomie) bis hin zu Schnelltrauungen durch Elvis-Imitatoren, ganz nach dem Motto: „what happens in Vegas, stays in Vegas”. Also, eine Million Fliegen können nicht irren? Ich weiß es nicht, diese These hat mich nie überzeugt - es ist nur eben schwierig, wenn man weder Alkohol, noch Miet-Vaginen, noch Shows, noch Glücksspiel begehrt und es, Mama, nicht so heiß will. Und THC konsumieren und lecker essen kann man auch anderswo. Jemand wie ich ist in Las Vegas jedenfalls denkbar falsch aufgehoben.
Dennoch kann ich mich bei aller nötigen Kritik an diesem Moloch von Stadt dem nicht erwehren, rechtschaffen und leicht ironisch kopfschüttelnd beeindruckt zu sein (so, wie von nutzlosen und degoutanten aber eben doch erstaunlichen Fähigkeiten mancher Leute, z.B. in 2 Minuten 20 Hot Dogs zu vertilgen oder alle Lieder von Roland Kaiser auswendig zu kennen), von diesem amerikanischen Größenwahn und Gigantismus, von der enormen, gewaltigen Leistung, diese Stadt mit all ihren kolossalen Bauwerken, aber auch ihrem Bedarf an Wasser, Strom, Lebensmitteln etc. diesem Ort abzutrotzen und am Laufen zu Halten und der mondsüchtigen Phantasie und halluzinanten Vision, der titanischen Anstrengung, aber auch der höchsten Bau- und Ingenieurskunst, derer es dafür bedurft haben muß. Und einige Dinge, die Fontänen zum Beispiel, sind auch wirklich schön anzusehen und völlig gratis. Auch hat mich für Las Vegas eingenommen, daß hier totale Toleranz herrscht und jeder überall willkommen ist und reindarf, Aussehen und Kleidung egal, solange man 21 ist. Der Las-Veganische Traum ist hier Wirklichkeit: Man wird hier nicht aufgrund der Farbe seiner Haut, sondern nur anhand des Inhaltes seines Geldbeutels beurteilt.
Also, was ist dieses Las Vegas nun? Eine echte Stadt? Oder doch eher eine durch das Geld und die Ansprüche nie versiegender Besucherströme mühsam zusammengehaltene Mischung aus Rummel, Kuriositätenpanoptikum, Freizeitzpark, Spielhölle, Bordell, Zirkus, Opiumhöhle, Spelunke und Fressmeile? Ich kann es nicht sagen, ich weiß es nicht, aber in meinen Augen ist Las Vegas, in dem alles riesig und übertrieben ist, eine Anomalie, ein gleißendes Fanal für den Sieg von Materie über Geist und Natur, völlig entfesselte, brüllende Dekadenz und himmelschreiende Verschwendungssucht und -lust, seine eigentliche Sünde. Ich glaube auch nicht, daß diese Stadt irgend einen Menschen kalt lassen kann, der dort ist - dafür ist sie zu extrem und zu übergriffig, sie erzwingt eine Reaktion, ob gut oder schlecht.
Leaving Las Vegas. Es ist schon ok, sich diese erschröcklichste und obszönste Manifestation menschlicher Hybris, die man nächtens sicher sogar aus dem Weltraum sehen kann, einmal angesehen zu haben. Für mich aber war das schönste an Las Vegas, es im Rückspiegel verschwinden zu sehen.
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