Dienstag, 1. Mai 2018

Wien. Endlich wieder.

7 Jahre ist es her, 2011 war es, daß ich das letzte Mal in meiner Lieblingsstadt, dieser morbiden, grandiosen, überreichen alten Schönen, dieser randvollen, prachtvollsten aller Städte weilte. Unverzeihlich eigentlich und um mein ungebührlich langes Fortbleiben wenigstens ein bißerl wieder gut zu machen, habe ich einen Freund dazugebeten, um auch ihn süchtig hiernach zu machen, um bei diesem, meinem fünften Besuch, auch durch seine neu entflammte Begeisterung die Schar der Verehrer dieser Stadt noch zu mehren. An der Schwelle zum Wonnemonat entflogen wir dem meteorologisch hartleibig rückständigen, noch immer halbgefrorenen Norden und segelten in die sonnenwarmen Arme der Schönheit an der Donau, die ich nie anders als voller Sonne und Wärme erlebt. Es war, als wäre ich nie weg gewesen.
Doch bevor ich unsere Stationen schildere und bebildere, will ich versuchen, zu beschreiben - damit es überhaupt einmal niedergeschrieben ist - was mich an dieser Stadt so begeistert. Das Offensichtliche ist freilich zuerst zu nennen: Wien ist wunderschön, sein Zentrum, der 1. Bezirk, ist so übervoll epischer Pracht, in seinen Monumentalbauten so voller Majestät und selbstbewußtem Protz, und verströmt noch immer so sehr den Atem der Klassik, der Zeiten Mozarts und Beethovens, daß einem schwindelig und ungläubig zumute wird, wenn man das zum ersten Mal sieht und genauso ging es auch meinem Begleiter. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, die Sinne fließen einem über und den Kopf tief im Nacken fixiert, damit einem kein Erker, kein Fresko, keine goldene Fassade, kein prächtiges von Stauten und kämpfenden Engeln bewohntes Dach entgeht, schlängelt man sich seinen Weg durch die immer anwesenden Heerscharen von Wienbewunderern aus wirklich aller Herren Ländern. Alles ist großzügig, man kann fast überall kostenfrei schauen, eintreten, riechen, lauschen, laufen, sogar kühles Wasser wird einem geschenkt.
Dennoch wirkt diese Stadt mit ihren tierrechtsbedenklichen Fiakern, den Kaffeehäusern, wo sich die Schriftsteller und Maler vergangener Epochen trafen und eben keinen Kaffee sondern Melanges und Verlängerte tranken, den zahllosen Kirchen und sich immer noch stolz als "k.u.k." bezeichnenden Betrieben, den weitläufigen, penibel gepflegten Gärten und Parks nicht muffig und stehengeblieben, sondern es gelingt ihr das unerhörte Kunststück, in einem guten Sinne traditionell und traditionssbewußt zu wirken.
Wenn man dann diese zugegeben sehr reiche und weite Oberfläche durchtaucht, erkennt man erst den echten Charme, dieses Gefühl, sich zugleich in New York, Paris und an der Cóte d'Azur zu befinden, das aber durch den allgegenwärtigen wunderschönen Dialekt und den unvergleichlichen Wiener Schmäh entschieden in die Wahrnehmung kanalisiert wird, daß man hier nirgends anders als in Wien ist. Und wenn man dann in einer der Kirchen durch die Scheibe eines Glassargs das echte Skelett eines lange toten Würdenträgers sieht, sich eine Führung durch die Wiener Unterwelt mit ihren Verliesen und Mumien angedeihen läßt, das Bestattungsmuseum, Schuberts Sterbekammer oder gar den König der Friedhöfe, den "Zenträu", besucht, dann versteht man, wie wunderbar morbid diese Stadt und wie besonders ihr Verhältnis zum Tod ist. Nur dort kennt und verehrt man die "schöne Leich", nur dort gibt es einen Friedhof, der so groß wie ein ganzes Stadtviertel ist und auf dem man auch zur Hochsaison noch vollkommen allein unter Hunderttausenden Toten, davon zwei Beethoven und Brahms sind, sein kann.
Und dann das Essen... kein Wienbesuch, den ich nicht schwersten Leibes und höchsten Mutes beschloß. Ich liebe die Wiener Küche, die Schnitzel, die Mehlspeisen, die Torten, Buchteln und Kuchen, all die Spezereien, derer man allerorten und -enden habhaft werden kann und von denen, sollte wirklich der Wunsch aufkommen, man sich auf dem an 365 Tagen stattfindenden, kilometerlangen Naschmarkt, wo Speisen, Obst, Gewürze und Gemüse aus der ganzen Welt feilgeboten werden, Abwechslung verschaffen kann.
Und wo sonst findet man quasi mitten in der Innenstadt einen kostenlos zugänglichen Vergnüguungspark, mit Fahrgeschäften, Attraktionen und Belustigungen sonder Normen, falls einem in dieser ungaublichen Stadt tatsächlich die Verlustierungsgelegenheiten fad werden sollten? Natürlich ist Wien auch zeitgemäß, der ÖPNV ist tadel- und lückenlos, der Flughafen nah, die Infrastruktur gut, überall gibt es W-Lan und was der moderne Mensch sonst zu brauchen meint. Ich komme aus dem Schwärmen ja gar nicht heraus und finde doch, daß ich meiner Begeisterung hier nur unzureichend gerecht werden kann. Doch wie tut der Wiener, dieser einzigartige Menschenschlag? Ausgerechnet die Wiener, diese glücklichsten aller Städter, denen alle anderen Orte gegen ihre Heimat wie laue, dumme Dörfer, häßliche, seelenlose Chromungetüme, jämmerliches, aus Ruinen hingeschafftes Flickwerk, graue, tote, beflissen-funktionale Unorte vorkommen müssen? Ausgerechnet sie sind für ihr Raunzen bekannt, als hätten sie auch nur einen einzigen Grund zur Klage!

In diese Wunderstadt also reisten ein Freund und ich, da ich sie ihm zeigen und endlich wiedersehen wollte. Wir kamen in der Unteren Viaduktgasse zu wohnen, wo es ruhig und zugleich nahe der Innenstadt war, AirBnB sei Lob und Preis. Wir warfen nur rasch das Gelumpe in den Bau, besorgten im Spar nebenan (ja, hier gibt es sie noch) das für die (eher junggesellenhaft orientierte) Selbstversorgung Notwendige und eilten dann in prachtvollster Abendsonne und -wärme zu Füßen des Steffl,



wo man am besten damit beginnt,  das Wunder sich entfalten zu lassen.  "Ich hab's Dir ja gesagt"-sagend bugsierte ich den offenmundigen, kopfschüttelnden und rasch sein Fassungsvermögen erschöpft habenden Freund durch die Straßen des ersten Bezirks mit seinen Unumgänglichkeiten. Es ging durch den Graben, vorbei an der Pestsäule,



schnell in die Petruskirche (und noch schneller wieder raus, nachdem uns ein so ein Opus-Dei-Pfaffe, der sich mangels Beichtkundschaft gemopst und uns angesprochen und nachdem wir uns als ungläubige Wissenschaftler zu erkennen gegeben hatten, uns eine private Führung durch die Krypta (vermutl. ohne Wiederkehr) hatte andienen wollen), dann links zum Michaelerplatz, auf dessen Kirchenvordach für alle Zeiten Luzifer von Michael besiegt wird


und in wessen Kirche anläßlich des Todes vom Wolferl sein Requiem (in der unvollendeten Fassung) aufgeführt wurde! *schauder*



Wir sahen die Hofburg,


liefen bis zum Museumsbereich und kehrten, als der Hunger sich bemerkbar machte, noch in "Heindl's Palatschinkenkuchl" ein - was man immer tun muß, wenn man in Wien ist - und füllten uns die Bäuche mit den guten Eierkuchen, herzhaften und süßen.

Tags drauf schlenderten wir zuerst durch den Stadtpark am Gürtel und stellten fest, wie gut der Wiener Park kann. Kein Vergleich zu den zugeschissenen, ungepflegten, bank- wasser- und flairlosen "Grünanlagen" Deutschlands. Und wenn ein Park so aussieht, dann gehen da auch gerne Menschen hin und halten sich auf, wer hätt's gedacht.


Weiter ging's den Gürtel entlang, die Oper sehen, wo gottverdammtnochmal einst "Don Giovanni" uraufgeführt wurde (und wo ich selbst schon "Lucia di Lammermoor" sah)



und dann gemächlich die prätentiöse Kärntnerstraße 'runter (Hinweis an Kiel: in eine beliebte Einkaufsstraße gehört kein Autoverkehr! #innenstadtplaung #einmalmitpofisarbeiten) und noch ein paar Schlängel im ersten Bezirk, so daß wir überpünktlich um halb 1 beim Figglmüller in der Wollzeile ankamen, wo uns endlich wieder das von mir heiß ersehnte und unvermeidliche kredenzt wurde:




Na, und was tut man mit 1,5 qm Schnitzel im Leib? Man tut natürlich wie seit über 80 Jahren der Wiener tut, nimmt eine Melange und einen Verlängerten im Hawelka und liest dazu die aktuellen Zeitungen. Alles andere wäre unziemliche Barbarei:




Und schon war es auch Zeit für's tägliche Gratisorgelkonzert in der ein ganz kleines bißchen als "drübber" zu bezeichnenden Petruskirche,



das es dort seit Jahren zuverlässig gibt. Gespielt wurde zuerst eine feine, klangvolle Sonate von Mendelssohn und über den nachfolgenden, modernen Rest decke ich gütig trotz immer noch schmerzender Ohren den Mantel der Nichterwähnung.
Und als wäre man in diesem Betbums nicht schon mit Prunk & Protz & Kitsch & Blingbling überladen worden, gönnten wir uns noch die Jesuitenkirche mit ihren Spiralsäulen aus rotem Marmor und noch mehr Protz und Brimborium:



Nur die orthodoxe Betbude am Fleischmarkt, die ich als auch besonders stimmungsvoll (v.a. mit schöner Musik drin) in Erinnerung habe, blieb uns verwehrt, die hatte dauernd zu.
Als nächstes fuhren wir mit der Tram zum Zentralfriedhof, jenem gigantischen Totenacker, jenem großen Memento der Endlichkeit, jenem nicht allein räumlichen Zugeständnis an den Tod, wo vieler Großer und unzählige Kleiner und längst Vergessener Gebeine bis auf Weiteres verstaut wurden und werden und ohne den gesehen zu haben man Wien nicht gesehen hat. Natürlich besuchten wir Beethoven, Brahms


und Schubert und die vergleichsweise riesige Friedhofskirche, wichen aber recht bald auf den wesentlich stimmungsvolleren und menschenleeren alten jüdischen Teil des Friedhofs aus, der in seiner oftmals überwucherten Sichselbstüberlassenheit wie verwunschen und unheimlich stimmungsvoll wirkte und wo wir ganz allein, schweigend und sinnierend unter all den Erloschenen gingen.

"Wer im Gedächtnis seiner Lieben lebt, ist ja nicht todt, er ist nur fern. Todt ist nur, wer vergessen wird."


Den Abschluß des Tages gestalteten wir mit einem Besuch auf dem Prater,


wo allerdings das einzige, was Karussell fuhr, mein GI-Trakt war, nachdem ich ein "Langos" verzehrt hatte, das auch als Fettmasttaler und Speckspackscheibe, als in aus Gründerzeiten des Praters stammendem Öl frittierte Feistoblate gewordenes Fleisch des schmerbäuchigen Gottes Schmalzus Grassus durchgegangen wäre, Heiland Sack, war das widerlich!


noch triumphiert er. Nachher mußte Rennie es richten.

Am folgenden Tag stand Schönbrunn auf dessen Ordnung, man erinnert sich: dieses kleine, leicht zu übersehende  Büdchen,



das sich ein gewisses Frl. Maria Theresia kurz vor Bachs Tod relativ mitten in Wien hat hinstellen (= umbauen/instandsetzen) lassen. Genau, das mit dem Gärtchen mit den ulkigen kleinen Zimmerbrunnen.

hark das mal!


Es war jetzt sicher das dritte Mal, daß ich da war und es beeindruckt mich jedes mal wieder. Und jedes Mal bedauere ich den Gärtner, der das in Schuß halten muß und freue ich mich, daß es heute keinen Adel mehr gibt, der mir und anderen "Gemeinen" verbieten könnte, dieses durch unlauter erlangte Mittel finanzierte Prachtstück zu betrachten und drin herumzulaufen. Nach reichlichem Besichtigen und -staunen fuhren wir zurück ins Zentrum, wo sich mein Begleiter auf dem Naschmarkt Wanst und Taschen mit allerlei Spezereien und sonstigen Trouvaillen füllte und auch ich nicht umhin konnte, einen Beutel Trockenmelone zu erstehen.
Die Kosmopolitesse (?) Wien zeigt sich m. wesentlichen E. auch darin, daß sich hier, gleich am Ring eine Filiale der US-amerikanischen und dort dem Vernehmen nach recht wohlgelittenen Happa-Haus-Kette "Thank God, it's Friday" findet, wo wir hernach einkehrten und nicht nur ganz ordentliches Essen, sondern auch die Ironie genossen, die darin lag, daß nicht nur keineswegs Freitag war, sondern wir, auch wenn Freitag gewesen wäre, einen Dank für ebendiese hypothetische Tatsache ganz sicher nicht jener höchst unplausiblen Phantasieentität fragwürdigster Reputation auszusprechen uns veranlaßt gesehen hätten.

Zur Verdauung entschlossen wir uns zu einem kleinen Gang zum und durch das ja in Wien nicht eben zurückhhaltend entworfene Rathaus,



und setzen der inzwischen sich bemerkbar machenden Nachmittagsbräsigkeit zwei Verlängerte im Café Griensteidl entgegen, das offenbar und leider inzwischen den Besitzer und den Namen zu "Café Klimt" gewechselt hat. Sehr zum Nachteil, denn aus der altehrwürdigen Inneneinrichtung, die ich noch kannte und dem Personal in Gestalt von würdigen "Herren Ober", war eine mit Klimt-Gekrickel verschandelte Bude geworden, wo sie einen T-Shirt-tragenden Stiesel ohne Haltung als Kellner herummurksen ließen. A Schand! Von dort aus verschafften wir dem Begehr des Begleiters, Andenken zu erwerben, Geltung und verfügten uns zur Mariahilfer-Straße, wo man allerdings nicht fündig ward und schließlich doch noch in der Souvenirbude am Steffel etwas abgriff.

Bei einem stattlich Eisbecher bzw. heißer Schokolade mit Schlagobers am Schwedenplatz, wo wir zuvor von so einem Schicki-Micki-Schiff, auf dem wir eigentlich gedachten, rehydrierend tätig zu werden, wieder runtergestiegen waren, weil wir wohl nicht chique genug für die alldorten ihre Proseccos, Aperol Witz und sonstige Yuppi-Brausen saufenden Pißnelken waren, gönnten wir den in den letzten Tagen arg strapazierten Gehwerkzeugen eine Rast und verständigten uns wieder und wieder darüber, daß dies eine urleiwande (was urleiwanderweise das wienerische Wort für "endlaser" ist) Kurzfahrt war.

Ich werde immer wieder hierherkommen und ich glaube, auch mein Begleiter ist nun infiziert.
Schee war's.

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