Wie es unsere
charmant-geographieignorante Art ist, kam alles, was wir über dies, wie wir
dachten, ulkige Mittelalter-Dörfchen in Belgien wußten, ausgerechnet aus einem
US-amerikanischen Spielfilm, worin es zwar überaus pittoresk und malerisch aber
auch nahezu sterbetauglich provinziell dargestellt wurde. Auf Nachfrage wurde
uns aber auch von Brügge besucht habenden Freunden und Bekannten davon
vorgeschwärmt und die Einnahme von dort feilgebotenen Fritten und Waffeln so
eindringlich ans Herz gelegt, daß wir am 30.12. zuversichtlich und
selbstverständlich mit ca. 20 Minuten Verspätung den ICE nach Brüssel
bestiegen. Wir hatten in weiser Antizipation eines postheiratlichen
Erschöpfungszustandes Plätze im Ruhebereich reserviert. Die gut sichtbaren
„Pssst!“-Piktogramme hielten jedoch einige osteuropäische Mitreisende, die etwa
15 rempelnde, armerudernde und Rucksäcke-in-Gesichter-schwenkende Minuten
brauchten, um ihre Plätze einzunehmen, keineswegs von ausschweifendem Palaver
ab und gerade als man sich auf gemeinsames und wenigstens stilles
Aus-dem-Fenster-Stieren geeinigt hatte, war die Omma hinter ihnen in einen
Tiefschlaf gefallen, der ihr den schlaffen Mund aufklaffen ließ und ein derartig
brachiales Schnarchinferno entfesselte, daß auf den Gesichtern der Mitreisenden
allenthalben genervtes Amusement kenntlich wurde.
In Brüssel verpaßten wir –
natürlich – unseren Anschlußzug, gammelten bis zur nächsten Möglichkeit am
dortigen Bahnhof ab und gelangten endlich mittels IC nach „Brügge Centraal“.
Das ****-Hotel Montanus war von
dort zu Fuß schnell erreicht. Unser Zimmer lag in einem freundlichen
Nebengebäude inmitten eines hübschen Gärtchens
und ließ erkennen, daß 4* in
Belgien zwar nicht 4* in Deutschland entsprechen, war aber komfortabel genug
(„Landeskategorie“ halt).
Wir legten nur kurz ab und liefen
sofort los, um Brügge zu erkunden und es war… voll. Voll bis zum Anschlag mit
Touristen, so daß wir vermuteten, uns in der Schnittmenge noch nicht
abgeflauten Weihnachtstourismus (schließlich waren die Weihnachtsmärkte noch
voll in Betrieb) und bereits anflauenden (?) Sylvestertourismus zu befinden.

kehrten wir gerade noch rechtzeitig ein, um die allerletzten Exemplare des Tages abzugreifen und sie mit Schoko bzw. Sahne bedeckt zu vertilgen.
Beim anschließenden Lustwandeln
führte sich uns Brügge noch im schönsten Abendlicht vor.
Nach kurzer Teeinnahme im Hotel (weil die sogenannten „Tea Rooms“ in Belgien zur klassischen Tea-Time um 17 Uhr natürlich bereits alle geschlossen hatten), kehrten wir am Abend auf Empfehlung von Katieklysm ins „Flamish Stew House“ ein
um dort „Stoofvlees“ = Stew (ich)
bzw. Monsterburger (the Cloud) zu verzehren.
Anschließend erwarben wir im
„Carrefour“ vor Ort noch ein paar belgische Spezereien zum Naschen, darunter
diese Chips mit der Geschmacksrichtung „saure Gurken“.
Auf dem Rückweg zum Hotel zu noch
durchaus früher Stunde suchten wir nach Scharnieren an den Bürgersteigen, denn
diese scheinen hier gegen 18 Uhr entschlossen hochgeklappt zu werden. Ob Brügge
ein Nachtleben hat, entzieht sich unserer Kenntnis, scheint aber angesichts
wirklich ausgestorben wirkender Straßen unwahrscheinlich.
Nach entspanntem Abend und
ruhiger Nacht begann der Sylvestertag in Brügge für uns mit einem recht guten
Frühstück in einem überaus ansprechend gestalteten Frühstücksraum direkt neben
einem kleinen Feuerchen. Es gab eine „breakfast lady“ fernostasiatischer
Provenienz, die einem auf Verlangen Eier und/oder Pannenkoeken (rührte und)
briet und es hatte sogar einen Schokobrunnen, daneben Marschmallows zum Tunken.
Es stand dort übrigens auch eine Schale saurer Gurken! Der Belgier scheint
schwere Probleme zu haben.
Nach dem Frühstück brachen wir
erneut zur Erkundung auf. Zu unserer Enttäuschung hatten wir zuvor erfahren,
daß das „Fritten-Museum“ (sic) ausgerechnet am 31.12. nicht geöffnet habe. Wir
hätten zu gerne gesehen, was zum Teufel der Belgier sich dabei gedacht hat und
gingen statt dessen durch hübsch morgenlichtgetränke Straßen
ins „Historium“. Dieses ist ein didaktisch
sehr interessant gestaltetes Museum zur Geschichte Brügges, gelegen im
ehemaligen Wasserhaus am „Groten Markt“, in dessen ersten Teil man eine
audiogeführte Fußtour durch einen Parcour macht, auf dem anhand eines auf
Bildschirmen laufenden Mini-Spielfilms das mittelalterliche Brügge vorgeführt
und für fast alle Sinne wahrnehmbar gemacht wird: man sieht (bewegte) Bilder,
hört typische Geräusche und Klänge, kann Holz, Seile und Klingen berühren,
riecht das Terpentin des Malermeisters
und die Salbeiseife im Badehaus.
Im zweiten Teil geht es eher klassisch zu: man wandelt zwischen Exponaten und
hört sich passende Audiokomentare dazu an.
Das ganze war nicht sehr profund,
dafür aber ansprechend und unterhaltsam und zum Schluß erhielt man einen
Ausblick von der Balustrade über den Marktplatz:
Dann war auch schon Mittag und
einer weiteren Empfehlung folgend taten wir, wie der Belgier tut und holten uns
eine „Grote Frieten“ mit Mayo
an einem der beiden Stände vor
dem großen Turm am Markt und verzehrten sie andächtig im Schatten des Turmes,
ihm zugrüßend
Gesättigt bzw. –fettigt machten
wir uns auf zum Brügges historischen Stadtkern umgebenden Wall, auf dem
insgesamt vier Windmühlen thronen.
Dem Wall folgend umrundeten wir
Brügges Zentrum dann etwa zur Hälfte, bis zum Katelijnepoort, wo wir in den
Minnewater Park einbogen. Dort befindet sich der berühmte Liebessee:
Kleiner Scherz, das war er noch
nicht. Das hier isser:
An jenem Seechen steht auch das
von mir zu beziehende Anwesen, in dem ich im Rentenalter dereinst zu residieren
gedenke.
Inzwischen war es Nachmittag und
Zeit für einen Tee geworden, den wir in einem „Tea-Room“ namens „One“ einnehmen
wollten, diesen wir aber nicht fanden. Auf dem Weg zu einer Ersatzteeschwemme
photographierte ich noch ein weiteres Typikum von Brügge:
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eines der unzähligen Fuhrwerke, mit denen Touristen von abgeranzten Schindmähren über das Kopfsteinpflaster gerüttelt werden |
Wegen des großen Erfolgs vom
Vortag gab es zum Tee auch heuer wieder belgische Waffeln:
In der Nähe befand sich auch
einen Beginenkloster
in dessen Innenhof es Claudia,
von fehlenden Attraktionen und Augenzückerchen unterwältigt, an angemessener
Andacht und Ehrerbietung erheblich mangeln ließ
Eigentlich reichte es uns danach
und wir begehrten Pause und Vollbad, wollten aber doch noch schnell die für die
Inaugenscheinnahme des nächtlichen Jahreswechselfeuerwerks anempfohlene
Lokation, den Platz „T’ Zand“ neben dem „Concertgebouw“, auskundschaften, um zu
wissen, wo wir nachher hin müßten.
Auf dem Rückweg zum Hotel fiel
uns, als wir an der O.L.Vrouwen-Kirche vorbeikamen, auf, daß wir noch keinen
der hiesigen und teils nicht unimposanten Betbümse von innen bestaunt hatten.
Wir also rein und was war: Baustelle im Hauptschiff und Sichtschutz aus weißen
Spanplatten:
Gefallen hat mir aber das
Selbstvertrauen, mit dem eine brüggesche Betgemeinde dem Kirchenbesucher
anbietet, seine Wünsche ans Universum
auf einen Zettel zu schreiben, damit jene sie dann dem Allerhöchsten
nicht antragen, andienen, vorschlagen, weiterreichen, nein befehlen könne
Erheitert und beschwingt
erreichten wir (hotel)heimische Gefilde, pausierten, badeten, nahmen einen
Spätnachmittagstee ein und brachen schließlich zum Abendessen auf, welches wir
mangels anderer Gelegenheit (wir hatten nirgends reserviert und es war ja Sylvester)
erneut im Stew House zu uns nahmen (the Cloud diesmal Stew, ich diesmal
Fish&Chips) und währenddessen unsere in die Kategorien Arbeit, Freunde,
Beziehung & Familie, Freizeit und Gesundheit unterteilten Jahresbilanzen
zogen und zum Schluß kamen, daß 2014 insgesamt mit positiver Bilanz aufwarten
könne.
Zurück im Hotel vertrieben wir
uns die Zeit bis es schließlich selbige wurde, zum t’Zant aufzubrechen, um dort
des Feuerwerks teilhaftig zu werden. Auf dem Weg dorthin erschien uns Brügge so
ausgestorben wie am Abend zuvor. Aber auch schön und geheimnisvoll.
Wo waren bloß all die vielen Leute? Auf dem t’Zant, wie sich herausstellte. Und zwar alle. Sie hatten sich dort vor einer kleinen Bühne versammelt, auf der ein dicker Mann mit Schnauzer, Brille und Winterjacke „Stimmung machte“, indem er zusammen mit einer Band abwechselnd Charthits der 80er und 90er Jahre coverte und flämische Schlager spielte. Uns kam es trashig und schmerzhaft provinziell vor, die Belgier hingegen waren’s sichtlich und hörbar zufrieden.
Hie und da wurde bereits – wie
immer – vor Mitternacht geböllert. Von Touristen natürlich, den dem Belgier ist
der Ankauf von Feuerwerk zur Privatknallerei nicht erlaubt. So erklärte sich
die trotz tausender Versammelter überaus zurückhaltende Polizeipräsenz. Gut
gelaunt wurden schließlich die letzten Sekunden von 2014 ausgezählt und während
Gattin und ich uns in die Arme fielen und ein frohes neues Jahr wünschten,
wurde über unseren Köpfen auf dem Dach des Concertgebouw das staatl.
zertifizierte Offizial-Feuerwerk gezündet
Wir verließen die feierfreudige
Stätte sehr bald und Wunderkerzen abbrennend gingen wir froh in kalter
Winternacht durch einsame Straßen zurück zum Hotel. Neujahrsmorgen begann mit
einem wieder sehr guten Frühstück und der Rest des Tages stand im Zeichen der
Rückreise.
Brügge hat uns gut gefallen aber
nicht überwältigt. Schön ist es dort fast überall, trotz der Horden von
Touristen, viel Imposantes und manch Romantisches erfreut den Besucher und im
inneren Stadtkern, mit seinem Kopfsteinpflaster, den verwinkelten Gassen und
Gäßchen, den geduckten Hutzelhäuschen, Erkern und Prunkbauten, windschiefen Türmchen,
verwitterten Mauern und alten Brücken über den Reien wirkt Brügge ein wenig wie
aus der heutigen in eine bessere Zeit gehoben. Ja, Brügge ist charmant, der
Nachdruck und Stolz jedoch, mit dem es darauf zu bestehen und noch immer am
verblichenen Glanz vergangener Epochen zu hängen scheint, tut diesem Charme
einen Abbruch. Auch das piefige, allzugutbürgerliche, bräsige Katholische dort
stört etwas und macht die Stadt kleiner und enger, als sie sein müßte und es
täte dem Stadtbild besser, würde der Autoverkehr in der Innenstadt
eingeschränkt und verschwänden wenigstens ein paar der unendlich vielen immer
gleichen Ramsch/Grabbel/Billig-Souvenirläden.
Wir haben die Flittertage in
Brügge genossen, sind aber überzeugt, alles Wesentliche gesehen zu haben, das
es zu bieten hat und werden es wohl in Zukunft den (anderen) Touristen
überlassen.
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Trivia:
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