Donnerstag, 1. Januar 2015

Brügge sehen. Und….? (Corn)

So eine Hochzeit ist ja schon irgendwie aufwendig, erst recht Ende des Jahres direkt nach Weihnachten. Und dann würde man ja zum flittern gerne auch noch verreisen, am besten wat weiter wech, wo’s schön ist. Dies allerdings in aller gebotenen Detailtiefe und mit nur diffusen Vorstellungen vom letztlich zur Verfügung stehenden Budget zusätzlich zu allem anderen zu planen, überforderte uns, so daß wir, um wenigstens doch mal aus der Bude zu kommen, die eigentlichen Flitterwochen ins nächste Jahr verschoben und einen Kurztrip über Sylvester nach Brügge buchten.

Wie es unsere charmant-geographieignorante Art ist, kam alles, was wir über dies, wie wir dachten, ulkige Mittelalter-Dörfchen in Belgien wußten, ausgerechnet aus einem US-amerikanischen Spielfilm, worin es zwar überaus pittoresk und malerisch aber auch nahezu sterbetauglich provinziell dargestellt wurde. Auf Nachfrage wurde uns aber auch von Brügge besucht habenden Freunden und Bekannten davon vorgeschwärmt und die Einnahme von dort feilgebotenen Fritten und Waffeln so eindringlich ans Herz gelegt, daß wir am 30.12. zuversichtlich und selbstverständlich mit ca. 20 Minuten Verspätung den ICE nach Brüssel bestiegen. Wir hatten in weiser Antizipation eines postheiratlichen Erschöpfungszustandes Plätze im Ruhebereich reserviert. Die gut sichtbaren „Pssst!“-Piktogramme hielten jedoch einige osteuropäische Mitreisende, die etwa 15 rempelnde, armerudernde und Rucksäcke-in-Gesichter-schwenkende Minuten brauchten, um ihre Plätze einzunehmen, keineswegs von ausschweifendem Palaver ab und gerade als man sich auf gemeinsames und wenigstens stilles Aus-dem-Fenster-Stieren geeinigt hatte, war die Omma hinter ihnen in einen Tiefschlaf gefallen, der ihr den schlaffen Mund aufklaffen ließ und ein derartig brachiales Schnarchinferno entfesselte, daß auf den Gesichtern der Mitreisenden allenthalben genervtes Amusement kenntlich wurde.
In Brüssel verpaßten wir – natürlich – unseren Anschlußzug, gammelten bis zur nächsten Möglichkeit am dortigen Bahnhof ab und gelangten endlich mittels IC nach „Brügge Centraal“.

Das ****-Hotel Montanus war von dort zu Fuß schnell erreicht. Unser Zimmer lag in einem freundlichen Nebengebäude inmitten eines hübschen Gärtchens

das Gartenhaus, vom Haupthaus aus gesehen

und ließ erkennen, daß 4* in Belgien zwar nicht 4* in Deutschland entsprechen, war aber komfortabel genug („Landeskategorie“ halt).

the Cloud chillaxt

Wir legten nur kurz ab und liefen sofort los, um Brügge zu erkunden und es war… voll. Voll bis zum Anschlag mit Touristen, so daß wir vermuteten, uns in der Schnittmenge noch nicht abgeflauten Weihnachtstourismus (schließlich waren die Weihnachtsmärkte noch voll in Betrieb) und bereits anflauenden (?) Sylvestertourismus zu befinden.



Im angeblich besten Haus am Platze für belgische Waffeln



kehrten wir gerade noch rechtzeitig ein, um die allerletzten Exemplare des Tages abzugreifen und sie mit Schoko bzw. Sahne bedeckt zu vertilgen.



Beim anschließenden Lustwandeln führte sich uns Brügge noch im schönsten Abendlicht vor.




Nach kurzer Teeinnahme im Hotel (weil die sogenannten „Tea Rooms“ in Belgien zur klassischen Tea-Time um 17 Uhr natürlich bereits alle geschlossen hatten), kehrten wir am Abend auf Empfehlung von Katieklysm ins „Flamish Stew House“ ein



um dort „Stoofvlees“ = Stew (ich) bzw. Monsterburger (the Cloud) zu verzehren.

Anschließend erwarben wir im „Carrefour“ vor Ort noch ein paar belgische Spezereien zum Naschen, darunter diese Chips mit der Geschmacksrichtung „saure Gurken“.

Pickles = saure Gurken

Auf dem Rückweg zum Hotel zu noch durchaus früher Stunde suchten wir nach Scharnieren an den Bürgersteigen, denn diese scheinen hier gegen 18 Uhr entschlossen hochgeklappt zu werden. Ob Brügge ein Nachtleben hat, entzieht sich unserer Kenntnis, scheint aber angesichts wirklich ausgestorben wirkender Straßen unwahrscheinlich.

Nach entspanntem Abend und ruhiger Nacht begann der Sylvestertag in Brügge für uns mit einem recht guten Frühstück in einem überaus ansprechend gestalteten Frühstücksraum direkt neben einem kleinen Feuerchen. Es gab eine „breakfast lady“ fernostasiatischer Provenienz, die einem auf Verlangen Eier und/oder Pannenkoeken (rührte und) briet und es hatte sogar einen Schokobrunnen, daneben Marschmallows zum Tunken. Es stand dort übrigens auch eine Schale saurer Gurken! Der Belgier scheint schwere Probleme zu haben.

Nach dem Frühstück brachen wir erneut zur Erkundung auf. Zu unserer Enttäuschung hatten wir zuvor erfahren, daß das „Fritten-Museum“ (sic) ausgerechnet am 31.12. nicht geöffnet habe. Wir hätten zu gerne gesehen, was zum Teufel der Belgier sich dabei gedacht hat und gingen statt dessen durch hübsch morgenlichtgetränke Straßen


ins „Historium“. Dieses ist ein didaktisch sehr interessant gestaltetes Museum zur Geschichte Brügges, gelegen im ehemaligen Wasserhaus am „Groten Markt“, in dessen ersten Teil man eine audiogeführte Fußtour durch einen Parcour macht, auf dem anhand eines auf Bildschirmen laufenden Mini-Spielfilms das mittelalterliche Brügge vorgeführt und für fast alle Sinne wahrnehmbar gemacht wird: man sieht (bewegte) Bilder, hört typische Geräusche und Klänge, kann Holz, Seile und Klingen berühren, riecht das Terpentin des Malermeisters


und die Salbeiseife im Badehaus. Im zweiten Teil geht es eher klassisch zu: man wandelt zwischen Exponaten und hört sich passende Audiokomentare dazu an.



Das ganze war nicht sehr profund, dafür aber ansprechend und unterhaltsam und zum Schluß erhielt man einen Ausblick von der Balustrade über den Marktplatz:


Dann war auch schon Mittag und einer weiteren Empfehlung folgend taten wir, wie der Belgier tut und holten uns eine „Grote Frieten“ mit Mayo


an einem der beiden Stände vor dem großen Turm am Markt und verzehrten sie andächtig im Schatten des Turmes, ihm  zugrüßend

Fritte zum Gruße, turmiger Freund!

Gesättigt bzw. –fettigt machten wir uns auf zum Brügges historischen Stadtkern umgebenden Wall, auf dem insgesamt vier Windmühlen thronen.



Dem Wall folgend umrundeten wir Brügges Zentrum dann etwa zur Hälfte, bis zum Katelijnepoort, wo wir in den Minnewater Park einbogen. Dort befindet sich der berühmte Liebessee:

Sea of Love

Kleiner Scherz, das war er noch nicht. Das hier isser:



An jenem Seechen steht auch das von mir zu beziehende Anwesen, in dem ich im Rentenalter dereinst zu residieren gedenke.



Inzwischen war es Nachmittag und Zeit für einen Tee geworden, den wir in einem „Tea-Room“ namens „One“ einnehmen wollten, diesen wir aber nicht fanden. Auf dem Weg zu einer Ersatzteeschwemme photographierte ich noch ein weiteres Typikum von Brügge:

eines der unzähligen Fuhrwerke, mit denen Touristen von abgeranzten Schindmähren über das Kopfsteinpflaster gerüttelt werden

Wegen des großen Erfolgs vom Vortag gab es zum Tee auch heuer wieder belgische Waffeln:



In der Nähe befand sich auch einen Beginenkloster

s'up y'all?

in dessen Innenhof es Claudia, von fehlenden Attraktionen und Augenzückerchen unterwältigt, an angemessener Andacht und Ehrerbietung erheblich mangeln ließ



Eigentlich reichte es uns danach und wir begehrten Pause und Vollbad, wollten aber doch noch schnell die für die Inaugenscheinnahme des nächtlichen Jahreswechselfeuerwerks anempfohlene Lokation, den Platz „T’ Zand“ neben dem „Concertgebouw“, auskundschaften, um zu wissen, wo wir nachher hin müßten.
Auf dem Rückweg zum Hotel fiel uns, als wir an der O.L.Vrouwen-Kirche vorbeikamen, auf, daß wir noch keinen der hiesigen und teils nicht unimposanten Betbümse von innen bestaunt hatten. Wir also rein und was war: Baustelle im Hauptschiff und Sichtschutz aus weißen Spanplatten:


Gefallen hat mir aber das Selbstvertrauen, mit dem eine brüggesche Betgemeinde dem Kirchenbesucher anbietet, seine Wünsche ans Universum  auf einen Zettel zu schreiben, damit jene sie dann dem Allerhöchsten nicht antragen, andienen, vorschlagen, weiterreichen, nein befehlen könne 



Erheitert und beschwingt erreichten wir (hotel)heimische Gefilde, pausierten, badeten, nahmen einen Spätnachmittagstee ein und brachen schließlich zum Abendessen auf, welches wir mangels anderer Gelegenheit (wir hatten nirgends reserviert und es war ja Sylvester) erneut im Stew House zu uns nahmen (the Cloud diesmal Stew, ich diesmal Fish&Chips) und währenddessen unsere in die Kategorien Arbeit, Freunde, Beziehung & Familie, Freizeit und Gesundheit unterteilten Jahresbilanzen zogen und zum Schluß kamen, daß 2014 insgesamt mit positiver Bilanz aufwarten könne.

Zurück im Hotel vertrieben wir uns die Zeit bis es schließlich selbige wurde, zum t’Zant aufzubrechen, um dort des Feuerwerks teilhaftig zu werden. Auf dem Weg dorthin erschien uns Brügge so ausgestorben wie am Abend zuvor. Aber auch schön und geheimnisvoll.















Wo waren bloß all die vielen Leute? Auf dem t’Zant, wie sich herausstellte. Und zwar alle. Sie hatten sich dort vor einer kleinen Bühne versammelt, auf der ein dicker Mann mit Schnauzer, Brille und Winterjacke „Stimmung machte“, indem er zusammen mit einer Band abwechselnd Charthits der 80er und 90er Jahre coverte und flämische Schlager spielte. Uns kam es trashig und schmerzhaft provinziell vor, die Belgier hingegen waren’s sichtlich und hörbar zufrieden.
Hie und da wurde bereits – wie immer – vor Mitternacht geböllert. Von Touristen natürlich, den dem Belgier ist der Ankauf von Feuerwerk zur Privatknallerei nicht erlaubt. So erklärte sich die trotz tausender Versammelter überaus zurückhaltende Polizeipräsenz. Gut gelaunt wurden schließlich die letzten Sekunden von 2014 ausgezählt und während Gattin und ich uns in die Arme fielen und ein frohes neues Jahr wünschten, wurde über unseren Köpfen auf dem Dach des Concertgebouw das staatl. zertifizierte Offizial-Feuerwerk gezündet


Wir verließen die feierfreudige Stätte sehr bald und Wunderkerzen abbrennend gingen wir froh in kalter Winternacht durch einsame Straßen zurück zum Hotel. Neujahrsmorgen begann mit einem wieder sehr guten Frühstück und der Rest des Tages stand im Zeichen der Rückreise.

Brügge hat uns gut gefallen aber nicht überwältigt. Schön ist es dort fast überall, trotz der Horden von Touristen, viel Imposantes und manch Romantisches erfreut den Besucher und im inneren Stadtkern, mit seinem Kopfsteinpflaster, den verwinkelten Gassen und Gäßchen, den geduckten Hutzelhäuschen, Erkern und Prunkbauten, windschiefen Türmchen, verwitterten Mauern und alten Brücken über den Reien wirkt Brügge ein wenig wie aus der heutigen in eine bessere Zeit gehoben. Ja, Brügge ist charmant, der Nachdruck und Stolz jedoch, mit dem es darauf zu bestehen und noch immer am verblichenen Glanz vergangener Epochen zu hängen scheint, tut diesem Charme einen Abbruch. Auch das piefige, allzugutbürgerliche, bräsige Katholische dort stört etwas und macht die Stadt kleiner und enger, als sie sein müßte und es täte dem Stadtbild besser, würde der Autoverkehr in der Innenstadt eingeschränkt und verschwänden wenigstens ein paar der unendlich vielen immer gleichen Ramsch/Grabbel/Billig-Souvenirläden.
Wir haben die Flittertage in Brügge genossen, sind aber überzeugt, alles Wesentliche gesehen zu haben, das es zu bieten hat und werden es wohl in Zukunft den (anderen) Touristen überlassen.

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Trivia:
-          „Flämisch“ ist eine sehr, sehr merkwürdige Sprache

was wohl Limousin heißt?

Totale Uitverkoop, Tot-75%, wegens Verbouwingen. Ja nee, is klar.

s'besser!
 
 -          Wir haben die Wohnadresse von Sherlokje van Hollemes gefunden


 -          die Belgier haben sehr sonderbare Geschäfte: Unterbuchse, Stiefel, Wolf


- in Brügge war im 15. Jhdt der alte Meister Corn van Ecyk tätig

Selbstportrait

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