Donnerstag, 1. Januar 2015

Brügge, bizarre Belgier, Bier (Claudia)

Zugegeben, die Alliteration, die diesen Beitrag eröffnet, ist nicht besonders kunstvoll, aber sie faßt recht kurz zusammen, was der Liebste und ich in unseren Flittertagen erlebt haben. Sehr wenige (ich glaube, es waren zwei) Tage vor der Hochzeit faßten wir den Entschluß, nun doch nach dem Feste verreisen zu wollen und da wir Brügge schon länger als Urlaubsziel in Betracht gezogen hatten, befragten wir die einschlägigen Internetportale und fanden schließlich eine Unterkunft in dieser einstigen Handelsmetropole. Das klingt jetzt so, als sei ich vorab schon furchtbar gebildet gewesen, aber das ist natürlich nur Makulatur. Wenn es eines gibt, das den Liebsten und mich auszeichnet, dann unsere beinahe sensationelle Ignoranz, wenn es um Geschichtliches und/oder Geographisches geht.
Aber von vorne.

Die Hochzeit war für uns beide ein nahezu perfekter Tag, der aber auch viel Planung und Streß im Vorfeld erforderte. Das zehrte in höherem Maße an mir, als ich zunächst zugeben wollte. Nachdem der erste Tag nach der Feier quasi nicht-existent gewesen war, zog es uns am dritten zum Kölner Hbf, wo wir die Zugreise nach Brüssel antraten. Der ICE war nur 20 Minuten zu spät und es wurde alsbald deutlich, daß die mangelnde Kompetenz der bahnbesteigenden Hirnamöben bei der Sitzplatzsuche den Einsteigeprozeß noch deutlich verlangsamen und die Weiterfahrt so weiter verzögern würde. Natürlich stiegen dann auch die üblichen, den Ruhebereich ignorierenden kackbratzigen Laberbacken mitsamt Omma zu, die entgegen der Vermutung des Liebsten belgischer Provinienz waren und den hier üblichen Bizarrsprech von sich gaben. Um das Geschnarche der mit gut sichtbarer Uvula tief schlafenden Ommse zu übertünchen, reichten meine In-Ear-Kopfhörer alleine nicht: Vivaldi wurde alle zwei Sekunden von einem veritablen Sägewerk begleitet. Hier half nur eins: Death Metal! Damit konnte man das alles dann auch aushalten. Die Anschlußfahrt erfolgte im ramschigen „IC“, den man hierzulande bestenfalls als ausrangierten Regionalexpress auf Gnadenfahrt durchgehen lassen würde. Doch dann waren wir da: Brügge wartete mit einem stinknormalen Bahnhof und einer unspektulären Vorstadt auf, die den Liebsten schon nach drei Minuten Fußwegs dazu bewegte, sich über die mangelnde Mittelalterlichkeit des Städtchens zu beschweren. Ich aber, die sich an den Film „Brügge sehen… und sterben“ und diverse Indernedd-Fotos gut erinnern konnte, wußte, daß da noch mehr kommen mußte und suchte den Mann zu beruhigen. Allein, er wollte nicht hören. Ich hingegen hatte schon das ein oder andere ansehnliche Motiv erblickt.





Schnell erreichten wir das Hotel, das von außen nicht übermäßig pompös aussah, sich aber mit vier Sternen schmückte. Ich erwartete keine Hochglanzbude wie das zur Hochzeitsnacht vom Ehegatten spendierte Hyatt, da wir in der Vergangenheit (Bad Zwischenzahn, Adelaide, …) schon die ein oder andere Ranz-Überraschung erlebt hatten, demnach wurde ich auch nicht enttäuscht. Unser Zimmer befand sich in einem recht großen Garten in einem „Nebenhaus“, das sehr putzig gemacht war: die Erkerchen mit Fensterchen waren mit bunten Fenstergläsern versehen, innen war es hell, romantisch und gemütlich.





Viel Platz hatten wir nicht, aber wir waren ja auch nicht zum Herumlungern in Brügge. Wir legten also schnell das Gepäck ab und machten uns auf in das hurtig auf den Abend zuschreitende Brücke. Auf dem Weg ins Zentrum wurde weiter herumgemeckert, bis der Anblick des Kanals und des beginnenden Stadtkerns die Jammerungen des Gatten verstummen ließ.




Dort kamen wir auch der ersten unserer zahlreichen kulturellen Verpflichtungen nach und verspeisten genüßlich frisch hergestellte belgische Waffeln. Hierbei tat sich eine besondere Tücke auf: wir normalen Menschen, die wir flüssige Milchprodukte nicht genießen können, haben größere Zeitprobleme, wenn es darum geht, die noch heißen Waffeln mit Schlagsahne zu verspeisen. Hier ist Tempo gefragt!
Anschließend ging es weiter auf den Markt, wo ein Restweihnachtsmarkt mit hübschen Lichtinstallationen und allerlei monumentales Gehäus unserer harrten.




Ein wenig störend waren die vielen Menschen, die sich unverschämterweise auch dort aufhielten. Obwohl ich wirklich versucht habe, sie zu verscheuchen und auch Cornelius mit seiner heiteren Mimik einen aufrichtigen Beitrag dazu leistete, wollten sie nicht weichen. Wir schon, und so begannen wir mit der Erkundung des Restzentrums von Brügge und der vielen kleinen Seitenstraßen und Gäßchen.




Am Ende kehrten wir zum abendlichen Tee im Hotel ein, das diesen gratis anbot. Meine süddeutsche Seele sagt dazu natürlich nicht nein und so saßen wir da und versuchten verzweifelt, die spärlich gesäten WLAN-Funksignale in die Nähe unserer Mobiltelephone zu bekommen, um der besorgten Heimat das ein oder andere Lebenszeichen zukommen lassen zu können. Der freundliche Hinweis des Empfangsmenschen, daß es mit dem WLAN in unserem Teil des Hotels möglicherweise etwas schwierig werden könnte, war ein äußerst gut gemeinter Euphemismus dafür, daß dies das funklochgewordene Äquivalent des Mariannengrabens war. Wer an dieser Stelle übrigens denkt, daß meine Aussage zum mangelnden geographischen Wissen vorhin ein vorsichtiges Plazieren der Beleuchtung unter dem Sitzmöbel gewesen sei, dem sei versichert, daß dies die einzige Information ist, die ich aus dem von mir im Alter von sieben Jahren mit schöner Regelmäßigkeit gelesenen „Schlauen Buch“, wie wir es nannten, entnommen und bis heute behalten habe (außer derjenigen, daß Seegurken gar nicht richtig aussehen wie Gurken, was in mir Zweifel am Verstand des Schöpfers dieser Bezeichnung aufkommen ließ, aber ich schweife ab).
Wie dem auch sei, abends wollten wir ein wenig schick essen gehen und begaben uns zu diesem Zwecke in Richtung Altstadt. All unsere Vorsätze waren vergessen, als wir vor dem Flamish Stew House standen und die goldenen Fritten uns in der klirrenden Kälte verführerisch anlächelten. Nicht so verführerisch war der betont uninteressierte, dicklich-strubbelige Frittenhändler, der, während er die Bestellung aufnahm, unablässig fernsah und Fritten ingestierte (nicht ohne sie beim Sprechen, fleißig weiterkauend, dem Angesprochenen darzubieten). Geschmeckt hat es trotzdem und wir beschlossen, dieses Etablissement am folgenden Silvesterabend wieder mit unserer Anwesenheit zu beehren.
Im Hotel angekommen unterhielten wir uns, hörten Musik, sahen fern (natürlich gibt es hier nur belgische Sender) und schliefen schließlich recht früh ein.



Am nächsten Morgen begann der fünfte Tag unserer Ehe. Und dieses Jubiläum feierten wir mit einem überraschend ausgiebigen Frühstück im überraschend noblen Kaminzimmer unseres ansonsten mit einer Prise des üblichen Impro-Charmes gewürzten Hotels. So gestärkt erfolgte das Ausleben der postbrandialen Müdigkeit und schließlich der Aufbruch in die Stadt, wo wir zunächst das Morgenlicht bewunderten.

Anschließend verbrachten wir eine Stunde im schon vom Gatten ausführlich beschriebenen Historium, das fand, man könne ja mal das mittelalterliche Brügge ausschweifend loben. Auch heute war das Wetter wieder freundlich und man konnte das ein oder andere Bildchen vom Markt und den historischen Bauten machen.



Wie… wieso..?
Dort wurden sodann auch die belgischen Fritten konsumiert, womit wir ca. die Hälfte unseres kulturellen Programms bestritten hatten. Ein weiterer Punkt auf der Liste wurde im Schokoladengeschäft abgehakt, in welchem ich mir die typischen und mit Nougat gefüllten Muschel-Pralinen kaufte, die mich schon als Kind so fasziniert hatten. Nicht, weil sie gut schmecken (das taten sie auch hier nicht so richtig richtig), sondern weil sie so schön waren (und das waren sie auch hier). Nach einer kleinen Verlaufung, die eindeutig der Gatte verschuldet hatte, liefen wir auf den Rand des historischen Stadtkerns zu, um den mit Windmühlen gespickten Wall der Stadt zu erreichen. Hierbei war zu konstatieren, daß der Stadtkern in der Peripherie immer unspektulärer wird und die jenseits des Kanals liegende „Neustadt“ genau so häßlich ist wie der Rest Belgiens. Sei’s drum, die Windmühlen waren nett.




Schließlich umrundeten wir noch die halbe Stadt, um zum Minnewater-See zu kommen, der sich als nicht so wunderschön präsentierte, wie der Name es hatte vermuten lassen. Dennoch war es eine nette Abwechslung für das Auge und wir kehrten schließlich in einem „Tea Room“ ein, um nochmals Schwarztee und belgische Waffel in uns aufzunehmen.




Nach einer Tour zum architektonischen Schandfleck der Stadt

(nach längerem Überlegen erspare ich das den armen Lesern)

und ausreichendem Gejammer meinerseits wurde noch die Gratis-Teestunde im Hotel eingenommen, ehe wir uns abermals gen Stew-House aufmachten und dort fürstlich speisten (diesmal gab es den Eintopf für mich). Auf dem Heimweg wurde Starkbier gekauft, was mich nun all meiner weiteren kulturellen Pflichten enthebt. Dieses verteilte ich im Hotel großzügig auf Wand und Boden, nicht nur, um dem Raum ein sattes Bier-Aroma zu verleihen, sondern auch, um mich ob meiner Tolpatschigkeit zu ärgern.

Bolognese-Chips, Muschelpraline und Starkbier: belgisches Kulturprogramm!

Die restliche Zeit bis Mitternacht wurde sich damit totgeschlagen, Texte zu verfassen, Musik zu hören, Pushing Daisies zu schauen, zu reden und zu zeichnen. Wir haben uns gegenseitig gemalt und ich finde, die Gemälde sehen beide täuschend echt aus.

the Cloud



Um 23 Uhr verließen wir das Hotel, um das brügg’sche Silvester-Nachtleben zu erkunden. Die Straßen, die uns zum Markt führten, waren angenehm leer, da der Brüggianer bzw. der Tourist es vorzog, bis 23.59 Uhr üppige Mahlzeiten in den Gastrointestinaltrakt zu befördern. Das war aber eigentlich ganz hübsch, da man so ein paar Bildchen machen konnte.





Schließlich gelangten wir zum Markt, wo uns schon furchtbare Schundfolklore, die manche Menschen sich Musik zu nennen nicht entblöden, lautstark entgegenschallte. Die Ka(c)kophonie barg in sich das Versprechen zerfetzter Trommelfelle, sodaß es mich drängte, den Platz wieder zu verlassen. Cornelius sah sich das Spektakel noch ein paar Minuten aus der Nähe an, ehe wir an den Ort des großspurig angekündigten Feuerwerks pilgerten. Dort erwarteten uns schon gröhlende und nicht unalkoholisierte Jugendliche, die in mir den akuten Wunsch weckten, meine Fäuste in deren weit offen stehenden Schlündern zu versenken (und zwar nicht, um ein dort versehentlich hineingekrabbeltes, putziges Eichhörnchen zu retten). Mehrere hundert Leute drängten sich vor eine Bühne, von der Musik dröhnte. Ich nahm an, eine Stadt wie Brügge würde sich silvesterhalber eine Live-Band gönnen, doch ich irrte mich. Je mehr wir uns der Bühne näherten, desto mehr wurde ich mir dessen gewahr, wie das großartige brügg’sche Silvesterunterhaltungsprogramm, wessentwegen eigens eine riesige Bühne mit eindrucksvoller Soundanlage aufgebaut worden war, tatsächlich aussah: ein dicklicher Stadtbeamter mit Beamtenschnauzer und Beamtenbrille machte schwitzend und atemsparend tanzend ein paar Ansagen, ehe der nächste Song anlief. Um ihn scharten sich ca. 20 andere völlig beliebige Menschen mit vernachlässigbarer Tanz- oder Unterhaltungsbegabung und bewegten bräsig die voluminösen Körper hin und her. Ähnliches hatte man befürchtet, aber sich nicht zu erwarten getraut. Unten tanzte der Pöbel den Whity-white-girl-Tanz und eine gewisse Cloud kämpfte mit den Pimpernellen. Nachdem ich den armen Ehegatten mit meinen Jammereien überhäuft hatte, stellten wir uns etwas abseits und warteten auf den Jahreswechsel. Der Belgier läutete ihn eine satte Minute zu spät ein. Was soll’s, dachten wir uns, wir haben ja Urlaub! und verschoben den Jahresbeginn um 60 lässige Sekunden nach hinten, um dann das große Feuerwerk zu betrachten. Der gemeine Brüggianer kauft sich keine Silvesterböller und lässt die Stadtverwaltung diese Arbeit tun. Dieser gelang das eher nicht: als es soweit war, stiegen ein paar traurige Raketen gen Himmel, waren aber vom Veranstaltungsort aus nicht einmal richtig zu sehen, weil das große (und potthässliche) „Konzertgebäude“ die Sicht versperrte. Nach fünf Minuten verzogen wir uns mit 40 Wunderkerzen in zwielichtige Seitengäßchen und hatten pyromanischen Spaß.

gute Laune beim Brügger Unterhaltungsprogramm

Woohoooo! Silvesterspaß
 
Der Mann hat noch mehr Wunderkerzenspaß

Und so waren wir, nach einer kurzen Verlaufung, bereits um halb eins im Hotel, verschickten ein paar Neujahrsgrüße und schliefen bald ein.
Am nächsten Tag klingelte um halb neun der Wecker und erinnerte uns daran, das köstliche Frühstück nochmals zu uns zu nehmen, was wir natürlich auch prompt taten. Der Rest der Reise war nicht glamourös: wir saßen im Teezimmer, redeten, liefen anschließend noch ein wenig herum und schafften es dann rechtzeitig zum Bahnhof, um eine verspätungs- und zwischenfallfreie Zugfahrt anzutreten.

Was ist nun also zu halten von diesem Brügge? Ich hatte es mir ein wenig wunderschöner vorgestellt, muß ich sagen. Das mag aber auch an der Jahreszeit gelegen haben: die Bäume waren kaum mehr als düstere, traurige Skelette, die fast schon hämisch mit Glitzerlichterketten behängt wurden. Die Stadt war überladen mit diversen Weihnachtsmärkten und viel Weihnachtsdekoration und hat so womöglich deren „urtümliche“ Schönheit maskiert, zumal ich die Schnauze auch schon ein wenig voll hatte vom Weihnachtstrubel. Dennoch wurde uns klar, daß Brügge viel Potential hat: weder die Jahreszeit noch die Dekoration vermochten davon abzulenken, daß man dort eine entzückende Altstadt, viele imposante, viele urige, viele „heimelige“ Gebäude findet, daß einige Monumente die „Skyline“ schmücken, daß dort ein ganz eigener Charme herrscht und daß die Altstadt eine kleine Enklave, ein Refugium ist, in welchem man dem 21. Jahrhundert für ein paar Stunden oder Tage entfliehen kann. Allerdings sind die Attraktionen schnell abgefrühstückt und wer keine Freude an Redundanz, ausufernden Museumstouren oder etwa 237 Kunstgalerien, Spitzen-, Schokoladen- und Waffelgeschäften hat, wird nicht länger als die von uns wahrgenommenen 2,5 Tage dort verharren wollen. Insofern war die Reisedauer gut gewählt und der Kurztrip als Post-Hochzeits-Entspannung äußerst gut geeignet. Vielleicht würde es mich reizen, einmal wieder zu kommen: im Frühjahr oder Frühsommer, wenn alles grünt und nicht weihnachtlich glitzert. Schgucke.

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