In Düsseldorf (das sich als unbedeutendes Dorf offenbar einen internationalen Flughafen meint leisten zu müssen) begannen wir unsere spanische Reise und stiegen wir am 30.08. in die Iberia-Maschine nach Madrid. „Wow, ein neuer Negativ-Rekord“ dachte ich, als ich vergeblich versuchte, mich und meine Extremitäten in dem augenscheinlich für beinamputierte, rachitische Playmobilmännchen zugeschnittenen Sitz unterzubringen. Es gab keine für eine mit einem vollständigen Satz Gliedmaßen ausgestattete Person respektabler Größe einnehmbare Position, in der ich nicht irgendwo mit den Beinen anstieß! „Potztausend, dachte ich. Was macht hier ein 2m-Mann oder so ein richtig Fetter?!“
Nach rechtschaffen unkommodem Flug erreichten wir den offenbar gigantischen Madrider-Flughafen, wo wir unser Kofferrückgabeband (17 gelb) unter mehr als 40 die es gab, erstmal finden mußten (da sie dort nachvollziehbarerweise mit Zahlen und Farbcodes arbeiten – einfach nur Zahlen, die dann aber nur einmal vorkommen, wäre auch viel zu einfach). Mit rückgewonnenem Gepäck versuchten wir hernach, den ÖPNV in die Innenstadt zu nutzen. Zuerst hieß es, der Zug – „Renfe“ heißt das spanische DB-Pendant - gehe am schnellsten und sei am günstigsten. Am Renfe-Automaten gab es jedoch keine Tickets nach Madrid, nur nach Alicante, Valencia, Malaga etc. Irgendwann begriffen wir, daß Renfe es logisch findet, für unterschiedliche Streckenlängen unterschiedliche Automaten aufzustellen – ergibt ja auch Sinn – und gingen zum „Cercanía“-Automaten. Dieser war derartig kryptisch, daß die Liebste nach einigen vergeblichen Anläufen die eigens dort zur Automatenunterstützung abgestellte Hilfs-Tante um Hinweise ersuchte. Diese empfahl, besser mit der Metro zu fahren. Wir gingen also an den dritten Automaten, den, für die Metro, erwarben endlich Tickets, fanden die Metro auch und fuhren los. Wir mußten einmal umsteigen, wobei sich die absurde Größe und Komplexität einiger madrilenischer Metro-Stationen offenbarte, wo man bei klimatisierungsloser Affenhitze schwitzend durch lange Gänge und gigantische Rolltreppenschächte gehen muß, nur um die Metrolinie zu wechseln.
Doch ich will hier gar nicht lästern, denn eigentlich ist Madrid super und gerade nicht geeignet, Klischees von Spanien als irgendwie dysfunktionalem südeuropäischen Land zu bedienen, wo nichts funktioniert, alles kaputt und verschmockt ist, die Menschen faul herum liegen und/oder sich vorwiegend in Feierlichkeiten ergehen. Egal, wo wir waren (und wir haben dort sicher an die 70.000 Schritte gemacht): alles war sauber, sicher, großzügig und funktional. Selbst in etwas unansehnlicheren bzw. weniger repräsentativen Gegenden mit dicken Autostraßen gab es immer wieder Brunnen, Trinkwasserspender, schattenspendene Bäume etc. Die Metro fährt schnell, pünktlich und zuverlässig, die Leute sind freundlich und hilfsbereit, auch und gerade die Polizisten, derer drei uns nett und heiter den Unterschied zwischen „Guardia civil“ und „Policía nacional“ erklärten.
Doch ich greife vor. Wir erreichten die „Plasa de España“ mitten im Zentrum von Madrid an der Mündung der „Gran vía“ und 7 min später unser ziemlich ordentliches Hotel, wo wir abluden, kurz verschnauften und uns danach ins Abenteuer Madrid stürzten. Das hier ist übrigens und angebrachterweise das Allererste, was wir sahen:
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l.n.r.: Don Quixote, M. de Cervantes, Sancho Panza - Ehre, wem Ehre gebührt |
Madrid kam uns riesig vor, obwohl wir in die Außenbezirke – irgendwo müssen die 3,2 Mio. die dort wohnen, sich ja verteilen – gar nicht vordrangen. Riesig aber auch sehr schön und unglaublich divers und abwechslungsreich. Das war so ein Hauptmotiv, das mir immer wieder auffiel: es grenzen da unterschiedlichste Baustile aneinander, alte und moderne, und innerhalb weniger Fußminuten kann sich die Umgebung ganz deutlich ändern. Die „Gran Vía“ erinnerte mich an eine Mischung der Kölner Ringe (Höhe Hohenstaufen) und San Francisco, mit den breiten Gehsteigen, den säumenden Hochhäusern, den Restaurants, Kinos, Läden, Geschäftsgebäuden, der Lebendigkeit, das Gewusel, ständig sind Hunderte und Tausende Menschen unterwegs, zum essen, feiern, arbeiten, spazieren;
es gibt dort aber auch Bäumchen und andere kleine Details, die es z.B. von New York o.ä. unterscheiden und einen entschieden (süd-)europäisches Flair geben; andere Viertel sind ganz ruhig, mit engen Sträßchen,
historischen Häusern, kleinen Lädchen und irgendwelchen „identitären“ Flaggen an den Balkonen; und es gibt erbaulicherweise auch große autofreie Bereiche, mit klassischen Fußgängerzonen, gewaltigen Plätzen mit offiziellen und pompösen Bauten, Statuen, Brunnen etc., es ist eigentlich für jeden etwas dabei.
Inmitten der Stadt gibt es zudem große bis riesige Grünflächen und schattige Parks. Die außerordentlich schönen „Parque de buen retiro“, wo es eine grandiose Statue von Luzifer dem „Angel caído“ gibt
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I'm the riddle, quest eternal, as the God of phantasy |
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the negation of all being, can you tell now, who I be? |
und den „Casa de campo“ (in dem man mit einer leider zu unserer Reisezeit gerade kaputten Seilbahn sogar zu einem Aussichtspunkt hochfahren kann und wo es einen eigenen kleinen Vergnügungspark gibt) haben wir ausführlich besucht.
Nach den Nächten in unbequemen harten Betten nahmen wir das etwas merkwürdige und sehr teilchen- und kuchenlastige spanische Hotelfrühstück ein. So gab es zwar stets Olivenöl, Tomatenpaste und leckeres Obst, nicht aber Nutella, so daß ich, wie gewöhnlich, mein eigenes Glas erwarb und ab Tag 2 zum Frühstück mitbrachte, wo ich mich dann in der Glut der neidisch-sehnsüchtigen Blicke anderer Touristen wärmte. Die Tage in Madrid verbrachten wir – als gute Deutsche – mit Gewaltmärschen von morgens bis abends (an einem halben Tag in Begleitung von einer ehem. Studienkollegin und Mitperuanerin der Liebsten und deren spanischen „es ist kompliziert“-Jogis) vorbei an allem, was dort Rang und Namen hat: dem Palacio Real (wo wir zufällig einer Partie Fuchteln und Staksen, was dort extra für die Touristen aufgeführt wird, beiwohnten –
neu hier: es durften auch Pferde mitmachen),
der Puerta del Sol, der Plaza Mayor, der Real Basilica, der Puerta de Toledo, dem ikonischen Palacio de Cibeles,
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der Madrilene nennt dieses Wahrzeichen der Stadt auch "Correos", weil das früher das Post- und Telegraphenamt war |
dem Mercado de San Miguel (unauthentische Touristenfalle) u.v.a.m. Den Templo de Debod, eine altägyptische Konstruktion, die in Ägypten abgebaut und in Madrid wieder aufgebaut worden war, konnten wir nur von außen sehen, weil nur 10 Leute gleichzeitig da rein dürfen.
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Debod-Tempelanlage von vorne |
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der eigentliche (kleine, leere) Tempel mit dem zu ewiger Schande festgehaltenen Stiesel |
Als wir den hirnarmen, sich aber dafür um so wichtiger nehmenden vierschrötigen Sicherheitsstiesel darauf hinwiesen, daß derzeit niemand drin sei und gerade jetzt eine Gruppe von 5 Einlass begehrte kafkate er, daß man nur mit zuvor online gelöstem Ticket (das übrigens nichts kostet) hineinkönne. Auf den Hinweis, daß der Tempel (der übrigens nicht groß und in 15 min. besichtigbar ist) aber doch völlig leer sei und hier und jetzt fünfe stehen, die zwar kein Ticket hätten, aber extra hergekommen seien, sprach er, dies sei ja eine rührende Geschichte, er aber müsse die Regeln befolgen und ohne Ticket gebe es keinen Einlass, man könne ja morgen wiederkommen. Wir empfahlen uns sowie ihm, sich selbst zu beizuwohnen und ließen den Tempel unbesichtigt.
Absichtlich und aus Prinzip vermieden haben wir übrigens das Prado-Museum, ja, „das, in das Ihr unbedingt gehen müsst“. Wir beide haben kein besonderes Verhältnis zu bildender Kunst, finden Picasso einen überbewerteten Krickelpit, verweigern uns verordneter Ehrfurcht, verachten zudem den als „moderne Kunst“ organisierten Pennälerstreich und sahen nicht ein, lange im Voraus für erkleckliche Summen Karten für den Bums zu erstehen. Wir gingen lieber und mit deutlich größerem Gewinn ins „Museo Nacional de las Ciencias Naturales“ und sahen uns stundenlang die gut gemachte allerdings etwas oldschoolige zoologische Ausstellung im nicht minder oldschooligen Museumsgebäude an.
Am vorletzten Tag hatten wir für’s erste genug Madrid gesehe und machten eine Tagesausflug-Bustour nach Toledo. So sehr ich ja auf Klingen und Schwerter abfahre, für die und seinen Stahl Toledo weltberühmt ist, so arg ist diese Stadt kaputtouristet. SELBSTverständlich habe ich dennoch einen wunderschönen Herr-der-Ringe-Elfendolch in einer Schmiede, an der wir kurz anhielten, um sie zu besichtigen, als Souvenir erstanden! Die gesamte Stadt war voll mit Touristen und Touristenbedarf, wirklich, Laden an Laden, Wand an Wand, wir haben sicher 20-25 Läden mit so Klimbim-Schwertern, Dolchen, Messern etc. gezählt,
die anderen Läden hatten den üblichen Touristennippes. Es war so quietschbunt und übertrieben, daß man das authentische Toledo, das baulich wirklich schön und alt ist, darunter/dahinter nicht mehr erahnen konnte. Die geführten Gruppen drängen sich durch die Sträßchen und Gäßchen,
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schön, aber voll |
die Führer quäkten die immer gleichen Minischnipsel historischer Fakten durch ihre Umhänge-Lautsprecher, es war bizarr. Da die Innenstadt Toledos, wo die Touristen hinsollen, einige zig Meter oberhalb des Bushalteplatzes, wo sie ausgespien werden, befindet, hat man extra für die Fetten, Faulen und Fußlahmen eine gewaltige Rolltreppenkonstruktion gebaut,
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kommen Sie nach Toledo, wir haben Rolltreppen! |
damit auch niemand vom Besuch abgeschreckt werde. Der Rubel muß rollen, also rollt die Treppe. Dann doch lieber Madrid.
Fazit: Madrid (bzw. der kleine Teil im Zentrum und dessen direkter Peripherie, den wir gesehen haben) ist wirklich ganz toll (auch für Kunstmuseenentbehrlichfinder wie uns), unbedingt einen Besuch und sicher auch eine Rückkehr wert.
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Früh am letzten Tag in Madrid zogen wir gleich nach dem Frühstück los, um mit der Metro (was perfekt funktionierte) bis zu „Charmartín“ zu fahren, wo am dortigen Großbahnhof unser Hochgeschwindigkeitszug nach Burgos abgehen sollte. Hier übergab uns sozusagen Madrid (und damit seine Verantwortlichkeit ab) an die spanische Eisenbahn und der absolute Irrsinn begann:
zunächst einmal wußten wir unser Gleis nicht, da es uns nicht mitgeteilt worden war, wir hatten nur die Informationen „Richtung Burgos“, „Renfe“ und „Hochgeschwindigkeitszug“; damit kamen wir an einen Wegweiser, der auf alle diese drei verwies; nur leider in drei völlig verschiedene Richtungen. Erste „Das Haus der Verrückten“-Vibes kamen auf. Es wurde eine Dame gefragt, die dort extra bereitstand, weil man sich offenbar bewußt ist, daß niemand mittels Beschilderung und verfügbarer Angaben jemals zum Ziel kommen wird. Müde wies sie in eine vierte ganz andere Richtung. Wir zockelten los, über Rolltreppen, Treppen und rillen- und vertiefungsreiches Pflaster (das man offenbar eigens zum Amusement und für einen leidlichen Materialtest der Rollkofferbesitzer verlegt hatte) und gelangten in ein weiteres Bahnhofsgebäude. Vor einer Absperrung zu den Gleisen stand ein neongelb Bewesteter, vor dem die Ratsuchenden Schlange standen, denn die dort vorfindlichen Pfeile, Wegweiser und Schilder waren ebenso nützlich, wie zuvor und damit eine Flatulenz im Bocksbeutel. Gelbweste wies uns in eine Richtung, in die wir dann dackelten, uns mittlerweile beglückwünschend, daß wir genug Zeit eingeplant hatten. Es ging über Rolltreppen und – wenn diese kaputt waren, was sie oft waren – Treppen und den bekannten Ruckelboden aus dem Gebäude an die frische Luft. Man hatte uns geheißen, den Pfeilen „Tren Alta Velocidad“ zu folgen. Diese wiesen nun aber weg vom Bahnhof, in Richtung einer Art Parkhaus?, wo Menschen Mietwagen bestiegen, dann, immer den z.T. mit Tesafilm an Holme geklebten Pfeilen nach, durch eine sandige Baustelle, wo man gelegentlich stehen bleiben und einem von einem fluchenden Fettsack gelenkten Gabelstapler Vorfahrt einräumen mußte. Nach längerem Marsch, der sich wie eine Mischung aus Escape-Room, Schnitzeljagd und Reise durch ein Tollhaus ausnahm, gelangten wir in ein drittes Bahnhofsgebäude.
Dort wurde es noch wahnsinniger: Menschen, die in Spanien schnell mit dem Zug zu fahren wünschen, wird allen Ernstes zugemutet, durch eine Sicherheitskontrolle wie am Flughafen zu gehen. Mir schwante Übles, als ich an mein Souvenir aus Toledo aber auch mein Taschenmesser im Koffer, das ich immer dabei habe, dachte. Prompt wurde beides angezeigt und ich mußte meinen Koffer öffnen. An der Wand hing ein Maßstab, an den man Klingen halten konnte, da Klingenlängen > 6 cm offenbar nicht zulässig sind – auch nicht im Koffer! Das Souvenir, ein riesiger Dolch mit 25 cm langer Klinge wurde, als ich den Kassenzettel zeigte, dann aber problemlos abgenickt. Das Taschenmesser jedoch, dessen Klingenlänge exakt 6 cm beträgt, wollte man nicht durchgehen lassen. Auf den Hinweis, daß es aber den Regeln entspräche, hielt der Unterhonk mit einem Mittelhonk Palaver und sagte dann: „Egal, trotzdem nicht. Gib, gib, gib!“- Ich mußte also mein Taschenmesser dalassen, weil… Banane-Popane. Und jetzt kommt die Pointe, Leute: was meint Ihr: mußte man an der Kontrolle durch einen Metallscanner gehen? Nein, selbstverständlich nicht!
Ich fasse zusammen: am Bahnhof in Madrid wird das Gepäck von Reisenden sicherheitskontrolliert (womöglich deswegen), nicht jedoch die Reisenden selbst. Ich hätte also problemlos mit dem Taschenmesser in der Hosentasche (und einer Handgranate, einer Knarre, einer Tüte Gift und einem Pfund Plutornium) durch die Kontrolle gehen können! In meinem Gepäck hingegen durfte ich mein Messer mit Klingenlänge 6 cm (wegen der Regel, daß die Klingenlänge von Messern im Gepäck nicht mehr als 6 cm betragen darf) nicht, wohl aber meinen riesigen Dolch mitführen (weil man mit Souvenirdolchen, für die man einen Kassenzettel hat, bekanntlich niemanden umbringen kann – das wäre ja auch verrückt). Dieser dadaistische wahnwitzige Grobunfug brachte mich kurzzeitig an die Grenze eines hysterischen Wein-Lachanfalls. Ich fing mich rechtzeitig wieder, um, als endlich das Gleis für unseren Zug angezeigt wurde, zusammen mit der Liebsten selbigen zu besteigen.
Im Zug, Wagen 8, saßen auf unseren Plätzen 6A und 6B jedoch bereits zwei gemütliche Englänger, die Croissants in Kaffee tunken und angeregt schwatzten. Auf unseren Hinweis, daß sie auf unseren Plätzen säßen und wir dahingehend Änderungsbedarf anzumelden hätten, zeigten sie uns vergnügt und mit rotwangig-croissantkrümlendem Lächeln ihren Fahrschein, der ihnen ebenfalls die Plätze 6A und 6B in Wagen 8 zuwies. Während ich noch halb irre keckernd halb katatonisch mit dem Gedanken beschäftigt war, daß hier offenbar alle Spanien-Klischees in einer einzigen Zugfahrt an uns abgearbeitet werden sollten und wir die mehrstündige Fahrt nach Burgos dann wohl stehend im nichtklimatisierten Zwischenabteil neben dem Scheißhaus verbringen würden, sprang bei der Liebsten der Latina-No-Bullshit-Furien-Modus an; ihre Augen verdunkelten sich, die Brauen stürzten hinab in eine zornige Grimasse und mit den aus zusammengebissenen Kiefern gepressten Worten „So! Jetzt mache ich richtig Ärger!“ ließ sie den Koffer fallen und stürmte, sich die metaphorischen Ärmel, um den Stoff vor zu vergießendem Blut zu schützen, hochkrempelnd, irgend einem bemitleidenswerten Zugschwengel entgegen. „Gnade ihm Darwin“ dachte ich nur lächelnd.
Bald darauf holte mich die pinkbeshirtete Liebste von meinem Sünderplätzchen ab, nachdem ein auf Daumengröße zusammengestauchter Zugschwengel uns schwitzend und panisch zwei andere Sitze zugewiesen hatte. Ab dann lief es besser.
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Reisezeit: 30.08.-03.09.2024