Freitag, 13. Oktober 2023

And the band plays on… Malta sehen… und wieder gehen.

Also nun Malta. Obwohl ich gewarnt war von Max Goldt, folgte ich doch der Einladung der Tagungsausrichter zu einem Fachkongreß der ausgerechnet auf dieser merkwürdigen Insel stattfinden sollte. Ich wäre ansonsten, soviel sei gesagt, auch ohne Max Goldt, schwerlich auf die Idee gekommen, hierher zu reisen. Ich weiß gar nicht so recht, warum (an den wie seine Bewohner heißenden, sehr lobenswerten Schokokugeln liegt es jedenfalls nicht), vielleicht waren es unterbewußte Erinnerungen an unbegeisterte Erzählungen oder wenig Enthusiasmus hervorrufende Bilder, vielleicht sein mangelnder Ruf für … irgendetwas Gutes (was man als Insel im Mittelmeer erst einmal schaffen muß), nichts hatte mich jedenfalls bisher hierher gezogen.

Im Oktober 2023 tat es schließlich die Arbeit und nachts um 4 Uhr fuhr mich die Liebste tapfer zum Flughafen jenes unbedeutendsten Dorfes an der Düssel, von dem aus ich innert drei Stunden aus deutscher Dunkelheit durch den Sonnenaufgang nach Malta segelte.

Unterwegs las ich etwas über Malta und fand nun auch ganz handfeste Gründe, es nicht zu mögen und mir selbst im Voraus zu verbieten, es noch einmal und schon gar privat zu besuchen. Zunächst mal das:

„Mit rund 520.000 Einwohnern (im Jahr 2020) auf 316 Quadratkilometern Fläche gilt Malta als der Staat mit der fünfthöchsten Bevölkerungsdichte weltweit.“

Viele Menschen auf engem Raum sind ja schonmal von Natur aus rechtschaffen schrecklich. Damit sich daran auch ja nichts ändert, kommt in Malta aber noch das hier hinzu:

„Malta ist das einzige EU-Land und eines der wenigen Länder weltweit, in denen eine Abtreibung in jedem Fall verboten ist, auch wenn der Fötus nicht lebensfähig und/oder das Leben der Mutter in Gefahr und/oder die Schwangerschaft das Resultat einer Vergewaltigung ist. Bei einem eigenmächtigen Schwangerschaftsabbruch drohen Frauen Gefängnisstrafen zwischen 18 Monaten und drei Jahren.“ (Wiki, 2023)

Warum das wohl so ist? Ich habe da so eine Idee:


Das ist ja (in beiderlei Hinsicht) schlimmer als Polen! Wer hat DIE denn in der EU aufgenommen?! Und nun mußte ausgerechnet ich auf diese mit religiösen Fanatikern dicht vollgepackte Insel, um dort ausgerechnet einer wissenschaftlichen Tagung beizuwohnen. Ich mag Ironie ja, wäre aber lieber auf Amrum oder Cuba ironisch gewesen.

Nun mußte ich durch, denn wir landeten. Daß eine lange schwarze Hose, Kapuzenjacke und dicke Lederbotten absurd ungeeignete Kleidung im sommerlichen und 29°C warmen Malta darstellten, wurde mir notorisch schlecht auf Wetterliches Vorbereitetem bereits auf der Treppe aus dem Flugzeug, nun, „sonnen“klar – man hätte vielleicht doch vorher mal prüfen sollen, wie warm es auf Malta, das deutlich südlicher als Tunis und Algier liegt, selbst Mitte Oktober eigentlich noch wird.

Am Flughafen sollte mich ein Shuttle-Kerl mit meinem Namen auf einem Schild abholen….
Kunstpause. Ich weiß, was ich meinen Lesern schuldig bin: 

NATÜRLICH war kein Shuttle-Kerl da. Ich wartete, stand herum wie Falschgeld, wartete weiter, sah zu, wie allmählich selbst die Reisenden, die im Gegensatz zu mir noch auf ihre Koffer hatten warten müssen, aus dem Ausgang kamen, glücklich ihre jeweiligen Abholer fanden und der Flughafen immer leerer wurde. Schließlich rief ich das Hotel an, wo man fand, daß upsi, ja, der Shuttle-Service wohl durchaus gebucht worden war, aber irgendwie keiner rausgefahren sei. Sorry! Man schicke jemanden. Eine halbe Stunde später las mich endlich ein Taxist auf und fuhr mich auf der falschen Straßenseite und unentwegt mit Ohrstöpseln im Ohr telefonierend

auch das Steuer war auf der falschen Seite, aber die Prollo-Sonnenbrille saß gut

durch das unfassbar häßliche und an Bauwerken und -stellen zu ersticken drohende Malta zum Hotel.

Dort verbrachte ich drei Nächte, deren letzte nur bis 3:30 Uhr währte, nahm an besagter Tagung sowie letztentags an einem „Fokus-Gespräch“ teil, von dem sich der Tagungsausrichter Hinweise und Ratschläge zu neuen Produktideen erhoffte. Unspektakulär das alles und davon soll hier auch gar nicht die Rede sein. Ich will hier nur, mir selbst zur Erinnerung und Mahnung, einige ungeordnete Eindrücke notieren.

Man darf wohl sagen, Malta ist das medusenhafte Babel der Bausünden, wohin der Blick fällt ist alles zu Stein geworden und wo noch nichts gebaut ist, wird gerade gebaut, entweder neue Scheußlichkeiten oder es wird versucht, dem Zerfall des Alten mit arger Flickschusterei beizuhelfen; 

und bin so tief, dass ich kein Ende sehe
und keine Ferne: alles wurde Nähe,
und alle Nähe wurde Stein.
 

jedenfalls hat man hat offenbar das Ziel, jeden Quadratzentimeter dieser Insel mit möglichst unansehnlichen, prekären Ungetümen von grauem Beton zuzukleistern. Kräne, jene Ikonen der Konstruktion, die sich wie skelettierte Finger in den Himmel krallen, sind hier allgegenwärtig.


diese Mühe, durch noch Ungetanes schwer und wie gebunden hinzugehen...

 Zur Häßlichkeit Maltas trägt aber auch seine Farbe bei; es ist ein staubiges, schmutziges Beige, spröde und von der Sonne ausgeblichen und verschossen, das schmuddelig und wie fahle Gebeine wirkt. 

da hilft auch die Aussicht auf stellares Vergnügen auf dem Puckel einer Mähre nüscht

Überall weht Verfall, Alter und Vergänglichkeit über diese Insel, streift der Blick über etwas, das im Sterben zu liegen scheint. Die vielen Baustellen erwecken so den Eindruck, daß man verzweifelt und müde gegen einen drohenden Untergang anbaut, je häßlicher desto besser. Der Fremdartigkeit und Innsmouth-Remineszenz  Maltas hilft die hie und da auf Schildern und Plakaten vorfindliche und an Lovecrafts

Iä! Iä! Cthulhu fhtagn! Ph'nglui mglw'nfah Cthulhu R'lyeh wgah'nagl fhtagn!

erinnernde maltesische Sprache bei:


Die St.Georgs-Bucht, an der das von den Jahren schwer gezeichnete, ebenfalls malta-beige Hotel liegt, mündet in einen engen kleinen Strand, in dessen dunklen, schmutzig wirkendem Sand auch Mitte Oktober noch Menschen ihr kaum bedecktes, weißes Fleisch betten und es wie bleiche, zerlaufene Teige zum Garen auslegen, den Blick aufs offene Meer zu beiden Seiten von sich auftürmendem Betonunrat gerahmt und gleichermaßen erniedrigt.

Hinter dem Strand landeinwärts liegt eine Art Nachtjacken-Vergnügungsviertel, ein paar arme Straßenzüge, zugerümpelt mit entsetzlichen und stillosen Konglomeraten aus Baustellen nicht zusammenpassenden Häusern und Hochhäusern und Einkaufskomplexen, in denen Fast-Food-Höker, Spelunken, Tanzbuden und "Gentlemen's Clubs" genannte Dirnenlokale untergebracht sind und die allnächtens vom von derlei Zerstreuung angezogenen Lumpenproletariat überrannt werden.

das ist sie: Maltas hotteste Latino-Bar.

nicht weit von Maltas angesagtestem Taco-"Haus", wo sich die tanzwütigen Latinos zu Dutzenden für's Tanzen stärken


Der Parkplatz vor dem Royalen Rinderquetschesemmel-Vetreiber ist für die Schmiere reserviert. Alles was rechtens ist.
                     

Wenn man durch diesen äußerlich gebeinbeigen, innerlich gespensterfahlen entlegenen Ort, verloren im Mittelmeer, spaziert, entsteht unweigerlich so eine film-noir-Tom-Waits-artige Melancholie des Abgesangs in einem, eines last-farewells, der Gewissheit eines letzten Mals und daß es keine Wiederkehr geben wird. Und diese Leere blickt einem auch aus den  eingesunkenen  Augen der sich zu Tode amüsierenden Gestalten in die Seele, die einem bisweilen entgegengaukeln, die in ihrem erloschenen Innersten des Untergangs längst gewiss sind und wie die Band auf der Titanic doch einfach weitermachen, weiterspielen, weitergaukeln, Tänzer in der letzten Nacht Pompejis an der Kante des Abgrunds bevor alles zu Asche wird.

Dereinst, im irdischen Höllenfeuer, das beständig den Spiegel aller Ozeane hebt, wird sich auch das Mittelmeer aufbäumen und Malta, das sich vor Urzeiten aus ihm emporkrümmte, wieder verschlingen und es wird daran würgen. 

______

Soundtrack: