Vielleicht gibt uns Italien Hoffnung, dass das Paradies noch nicht ganz verloren ist
Ich weiß nicht genau mehr wann
und warum, aber vor nicht allzu langer Zeit fiel mir auf, daß sich eine
zugegeben leicht romantische und gleichermaßen ungestillte Sehnsucht nach
Italien, seinem Essen, seinen Landschaften, seiner (alten) Musik und (alten)
Kultur, seiner Art zu leben, eben jenem wundzitierten aber doch nicht nur
klischeehaften Dolce Vita in mir regte,
die überdies in ihrer Intensität in keinem hinnehmbaren Verhältnis zur Zahl
meiner Besuche dort stand. Einmal war ich vor Unzeiten ganz kurz irgendwo in
der Lombardei (von Zuoz in der Schweiz aus) gewesen ohne weitere Erinnerungen
daran zu haben, ein andermal in Sanremo in Ligurien (von Nizza aus), wo
es mir gut gefiel. Das war‘s beschämenderweise. Untragbar, ich weiß.
Ich begann also, italienische
Rezepte aus im italienischen Supermarkt gekauften Zutaten zu kochen, dabei Palestrina,
Bellini, Albinoni und Donizetti zu hören, Bücher über Italien zu lesen, mir
Namen und Lage seiner Regionen einzuprägen und mir vorzunehmen, es bald endlich
richtig zu bereisen, wiewohl mich die aller(berühmter)orten anzutreffenden
Touristenmassen und die Vorstellung, als daruntergemengtes Partikel
einherzutreiben, rechtschaffen abstießen.
So traf es sich günstig an, daß ich auf dieses Buch stieß:
aus dem ich mir eine Route in
Mittelitalien, beginnend in Florenz und endend in Rom zusammenstellte, die bis
auf diese beiden eben nur durch weniger bekannte und frequentierte aber dennoch
sehr italienische, augenscheinlich wunderschöne, teils geschichtsträchtige und,
wie ich hoffte, reichlich gute italienische und vor allem toskanische Küche
bietende Orte führen würde.
Und so entstand, teilweise Goethen, der auch
die Toskana durchreiste, nacheifernd folgende Route:
Florenz
Monteriggioni
Pitigliano
Civita de
Bagnoregio
Orvieto
Spoleto
Palestrina
Rom
Der Plan war gefasst worden, schon bevor im Jänner eine neue
Liebste gewonnen war, doch glücklicherweise behagte auch dieser die
Vorstellung, jenes schöne Land im Süden zu bereisen und sagte sie mir ihre
Begleitung zu. Ende August verließen wir mithin hochgradig urlaubsbedürftig ein
wetterhalber überaus wechselhaftes Deutschland und landeten überraschend gut und
unverspätet in
Florenz
Florenz war keines meiner Traumziele, eher eine
Verlegenheits- oder Notwendigkeitsdestination, da es dort, wenn man in die
Toskana will, deren Tor es sei, einen angenehm ungigantischen Flughafen zum
Landen gibt. Da aber Florenz immerhin Florenz und ja nun auch nicht knallhart
uninteressant ist, dachten wir, daß man sich anstandshalber wenigstens einen ganzen
Tag dort herumtreiben sollte und so geschah es.
Wir wohnten zu diesem Behufe in einer winzigen Airbnb-Bude in
bester Lage mitten in der historischen Altstadt, die im zweiten Stock
unterm Dach eines Hauses von der Breite meiner Schultern lag, offenbar für die
Beherbergung von Playmobilmännchen konzipiert war und in die zwar Strassenlärm
aber dafür kein direktes Tageslicht drang. Alles war sehr italienisch, von der
Moka-Kaffeezubereitungsapparatur über die schwachbrüstigen Stromleitungen, die
zu überlasten man uns gewarnt hatte, das - womöglich nach zuviel Amore -
inzwischen parabelartig durchhängende Bett und sonstigen wackeligen
Improvisationen bis zur nicht vorhandenen Schallisolation und damit
Privatsphäre. Aber mit guter Klimaanlage und dennoch irgendwie charmant und
durch die Lage unglaublich praktisch für Florenzerkundung.
In Florenz gab es vor allem
anderen sehr viel dieser Vier: Wärme (> 40° C), Altbauten, Leute und Läden
mit überteuertem Kackscheiß. Die schiere Masse einander auf die Quanten
tretender und im Weg stehender Touristen, denen ich ja gerade entgehen wollte, ist
mit „absurd“ leidlich getroffen (wobei ich ehrlichen Respekt dafür empfand, bei
42°C in der prallen Sonne eine Stunde anzustehen, um sich für teuer Geld alte
und bunte Dinge anzusehen). Und die schiere Anzahl gewaltiger, prächtiger,
geschichtsbeladener und mit interessantem / wichtigem / kunstfertigem Rat
vollgestopfter Protzbauten war überwältigend und überladend. Grotesk (also nicht
nur ohne Bezug zur Realität, sondern jenen höhnisch und verächtlich von sich
weisend) waren, endlich, auch die Preise, die in den Kettenniederlassungen der üblichen
ungustiösen Luxushöker für Damenumhängetransportbehälter, geschmackloses
Schuhwerk und unansehnliche Plünnen aufgerufen wurden (eine Handtasche für
unter 5.000 €? Wie soll das denn gehen? Damit kann man sich ja auch nirgends
blicken lassen!).
Florenz ist nach meinem Empfinden
zu einer Ikone erstarrt. Zweifellos, tolle Bau- und Kunstwerke überall,
Prächtiges, Wichtiges, Wuchtiges allerorten, gelegentlich gar Schönes, aber
über all dem Protz, all der schweren Bedeutung, all dem pompösen
Selbstbewußtsein ist ein eigener Charakter nicht mehr erkennbar, so wie ein
echtes Gesicht unter zuviel Schminke unkenntlich wird.
Dennoch klapperten wir brav,
unter sengender Sonne schwitzend und > 20.000 Schritte tuend sowie ein
Heidengeld für ein paar Imbices, Naschwerk und vor allem literweise Wassers verblasend
einen Gutteil der sine-qua-nons ab:
Piazza della Repubblica
Palazzo Strozzi
Ponte Vecchio
Uffizien
(von außen)
Museo Casa die Dante
Sinagoga
Palazzo Medici Riccardi
Basilica di Santa Croce di Firenze und
Piazza di Santa Croce
Piazzale de Michelangelo
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Piazza della Signora Palazzio Vecchio (wo auch der Neptunbrunnen steht, vor dem auch ich stehe)
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(dem Michelangelo sein David steht da so rum)
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Ponte Santa
Trinità (links im Bild)
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Cattedrale die Santa Maria del Fiore mit
Battistero di San Giovanni und dem Campanile |
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v.r.n.l.: Liebste, moi; vor dem Betbums, frohlockend
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Chiesa di San
Salvatore al Monte |
um nur einige zu nennen. Fast
alles kostete unverschämte Summen Eintritts und stoisch gingen wir daher nirgends
rein, wo man latzen (UND dann noch lange
draußen anstehen) hätte müssen, auch in kein Museum (das einzige, in das wir wollten,
hatte selbstverständlich an dem Tag,
als wir da waren, ab 13 Uhr zu), sondern begnügten uns mit der Außenansicht.
Natürlich ist Florenz irgendwie toll. Die ganzen grandiosen Bauwerke inmittten
und über den Schatten eines mittelalterlichen Gassengewirrs, der abgegriffene
Vintage-Charme vieler Häuser, das römisch-ordentliche im Stadtplan, gemischt
mit und überlagert vom unordentlichen des Mittelalters und heutigen Italiens
und das Spirituelle, Sinnliche der Renaissance mit zum Himmel blickenden,
strebenden und flehenden Engel, Türmen und Säulen, die hier ihre vielzitierte
Wiege hatte. Dennoch hatten wir, auch wenn wir mit der Stadt und ihrem
einerseits hochgestochenen Kunsthistroriker- und auf Banausen wie uns
herbblickenden, andererseits Schicki-Micki-Reiche-Russen-Charakter fremdelten,
eine schöne und außerordentlich eindrucksreiche Zeit. - Natürlich bräuchte man
eine Woche oder mehr sowie sehr viel mehr kunsthistorisches Interesse und
Besichtigungseifer als bei uns vorhanden, um Florenz erschöpfend zu erkunden.
Wollten wir aber auch gar nicht (und machten ja schon 1 KNATTER- um nicht zu
sagen BALLERIARDEN anderer Touristen). War gut, mal dagewesen zu sein, reicht
dann aber auch, danke.
Monteriggioni
Am dritten Tag in Italien schnappten wir uns einen
nachtschwarzen T-Roc (solides deutsches Auto für den chaotischen italienischen
Verkehr und die nicht immer guten Wege) am Florentiner Flughafen und rollten
allenthalben seufzend und verzückte Blicke um uns werfend über die in weiten
Schleifen liegenden Straßen der Toskana Richtung Monteriggioni. Bei dieser
Gelegenheit merkten wir, daß sich das „italienische Wesen“, die bald
liebenswürdige, bald nervtötende Neigung zu Abschweifungen, dazu, nicht alles
so genau zu nehmen, fünfe auch mal circa gerade und Angaben grundsätzlich vage,
blumig umschrieben, interpretierbar und ambig sein zu lassen, auch in der
italienischen Version von „google maps“ niederschlug. Letzteres schickte uns nonchallant
zu drei verschiedenen Orten, keiner davon jener, an den wir eigentlich wollten.
Wenn wir dann, am falschen Orte angelangt (z.B. einer menschenleeren Herberge
auf einem staubigen Acker im Nichts oder einer Decathlon Filiale im Nichts), ihm
fluchend den eigentlichen Ort an den wir zu führen seien, erneut vortrugen,
zeigte uns google maps mit gefühlt unschuldigem Augenaufschlag und geflötetem „Ach
daaaaa wolltet Ihr hin!“ einfach einen neuen Weg zu einem anderen Ziel in 7 km
Entfernung – man hoffte einfach, wenn man losfuhr, daß es diesmal das richtige wäre.
Dann wiederum waren die Angaben mitunter auch beängstigend präzise, denn als
wir endlich den Berg, auf dem das historische Zentrum Monteriggionis und zugleich
unsere Unterkunft „Rooms and Wine“ (well…) liegt, hinan rollten, bestand google
darauf, daß wir durch eines der antiken Stadttore fuhren, an denen stand, daß
man nicht durchfahren dürfe und die
auch ziemlich eng aussahen; erst nach absolut abenteuerlich verbotenem
Abstellen des Autos („italian style“) vor den Toren und Rücksprache mit dem
netten Zimmerwirt Stefano, der, als wir kamen, natürlich nicht bei der
Unterkunft zu finden war, sondern nebenan Siesta (so tut der Italiener von 13
bis 16:30 Uhr) machte und Wein trank, erfuhren wir, daß wir, doch, doch, ruhig
zum Ein- und Ausladen das Tor durchfahren sollten. Ich tat zweifelnd und in
Zeitlupe, wie geheißen und es waren auf jeder Seite des Autos noch maximal 5 cm
Platz: Gut, daß google offenbar exakt wußte, wie breit unsere Karre war.
Im Zimmer waren es ca. 50°C. Ich aktivierte die Klimaanlage
und stellte sie auf „Volles Rohr“ bzw. Blitzkrieg. Es passierte bis auf ein
laues Lüftchen, welches dem Kasten schwächlich entwich, nichts, was der
mörderischen Temperatur etwas hätte entgegensetzen können. Stefano ließ uns auf
Nachfrage achselzuckend wissen, die Anlage sei in Ordnung , doch die Regierung
hätte verfügt, daß in Anbetracht der Energiekrise die Temperatur auf 24°C zu
beschränken sei. Kurzer Blick in die Literatur für ideale
Schlaftemperatur: finde den Fehler :-/ (zum Glück kühlte es nachts ab und
wurde Schlaf möglich).
Das historische Monteriggioni ist toll und dabei winzig
klein.
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Am Abend, wenn Frieden auch ohne Glockenläuten ist; toskaniger geht's nimmer :-)
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Wir erkundeten es komplett, liefen auch über seine schlachtbewährten,
dicken Mauern mit den 14 (ursprünglich, heute noch 11) Türmen, die seinerzeit
die Florentiner zurückgeworfen hatten, bis sie mit Artillerie zurückkehrten.
Dann mußte man sie dicker machen: das erfuhren wir in einem Minimuseum, wo wir
auch Kettenhemd, Schild, Ein- und Zweihandschwert und schweren Kriegsflegel an
und ausprobierten und uns über mittelalterliche Belagerungs- und Befestigungsstrategien
informierten.
Als die Sonne sich zum Abend neigte,
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Campanile vor der Sonne. Hach ja. Ist ja nicht alles schlecht im Leben.
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aßen wir schließlich ganz
einfach und doch sensationell köstlich zu abend: Prosciutto crudo mit
Büffelmozzarella bzw. Burrata.
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zwei Teller voll Glück
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Später saßen wir noch auf der Piazza, tranken Zitronenlimo, sahen
zu, wie die Sonne versank und den Ort in goldenes Licht tauchte und ich
wunderte mich nicht, daß der große Dante, nach dem in Monteriggioni Straßen und
Plätze benannt sind, in der Comedia gar über diesen Ort geschrieben hatte:
Gleichwie Montereggiones Zinnen-Rund
Zahlreiche Thürme ringsum mächtig krönen:
Thürmten sich, halb aufragend aus dem Grund,
Die Leiber von den wilden Erdensöhnen,
Von den Giganten, denen Jovis Droh’n
Noch immer gilt, wenn seine Donner dröhnen.
Pitigliano
Am nächsten Morgen
machten wir uns guter Dinge auf den Weg nach Pitigliano, hielten unterwegs aber
noch an der bemerkenswerten und in vielerlei Hinsicht sonderbaren Abbazia San Galgano an, einer Abtei aus dem 12. Jhdt. ohne Dach
und mit wechselhafter Geschichte, die am Ende einer piniengesäumten Allee in
der Landschaft steht.
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San Galgano...
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ohne Dach
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Leider sahen wir sie
nur bei Tag und nicht bei Sonnenuntergang oder mit der aufwendigen Beleuchtung in
Dunkelheit.
Um uns abzukühlen,
hielten wir noch bei den Bagni di Petriolo an, wo wir uns zusammen mit
wenigen Leuten und vielen Fischen in einem Flußlauf plantschend erfrischten und
mit dem an dieser Stelle eingeleiteten, badwannenheißem Thermalwasser duschten. Nach gemächlicher
Fahrt durch die wunderschönen, sanften Hügel und beschaulichen,
postkartenidyllischen Dörfchen und Weiler der leider ziemlich ausgedörrten
Toskana
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viele Felder voller Sonnenblumenleichen :-(
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erreichten wir
unsere Bleibe in Pitigliano.
Diese war leider ein
Reinfall, denn nicht nur war das Haus direkt an einer eifrig frequentierten
Verkehrsstraße, die, so unser Eindruck, vor allem von Halbstarken auf ihren
aufgemotzten und obszön lauten Mokicks und sonstigen Begattungsanbahnungskrafträdern
geschätzt wurde, es war auch denkmal- und daher vom Festeinbau von Klimaanlagen
in die Zimmer geschützt. Und da ein guter Geist die Fenster unserer Bude für
uns aufgelassen hatte, waren es darin ca. 33 °C. Es gab ein Raumklimagerät,
dessen warme Abluft aber nicht wirksam aus dem Zimmer ausleitbar war; so sorgte
sein Betrieb für eine winzige Zone kühler Luft vor ihm und insgesamt bloß für
eine weitere Aufheizung der Höllenbude. Zusammen mit der mit Stahlbeton
verstärkten Matratze aus Neutronensternmaterie, die wohl jemand aus dem Krieg Siena gegen Florenz hier als Schutz gegen Artilleriefeuer hergeschleppt
und liegengelassen hatte, ergaben sich in den Gefängnisbetten vernichtend
schlechte Schlafbedingungen, so daß ich nächstens, im Gegensatz zur mit
Überallundimmerschlafenkönnen gesegneten Liebsten, spontan und größtenteils
diesem Grundbedürfnis entsagte. Natürlich
waren ausgerechnet hier zwei Nächte zuzubringen.
Die miserablen
Nächte wurden mit einem selbst für Italien nichtswürdigen Frühstück, zu dem es
für italienische Verhältnisse unterirdisch schlechten Kaffee und so etwas wie
mit Wasser aufgeschlämmte, warm gemachte Magerkondensmilch gab, nach unten abgerundet.
Arg schlimme Bude, das.
Wenigstens
Pitigliano machte uns froh, vor allem sein „centro storico“, oben auf dem Hügel
aus Tuffstein, von dem aus man weit ins Land blicken konnte. Wir streiften
lange, ausgiebig und ziellos durch die schönen, verwinkelten, engen kleinen
Gäßchen, bewunderten all die Auf- und Abgänge, die links und rechts
abzweigenden dunklen und schattenspendenen Unterführungen, winzigen Lädchen mit
lokalen Spezialitäten und Handwerkern, Brunnen, an denen man frisches
Trinkwasser schöpfen konnte und das kleine „jüdische Viertel“, „La piccola gerusalemme“,
das sogar eine eigene Synagoge hatte, und genossen die vor allem abendliche
Stimmung mit dem schönen, warmen, orangenen Licht, das durch die Gassen floß.
Es gab nur so wenige Touristen, daß sich die Einheimischen ausreichend wenig
gestört und befremdet fühlten und sich ungezwungen überall in den Gäßchen für
ein Schwätzchen oder sogar einen Strick- und Stickzirkel zusammenfanden:

Hungrig kehrten wir
in einer Wirtschaft ein, genossen vor der Pizza eine ausgesprochen köstliche
Auswahl toskanischer Salumi- und Prosciutto-Spezialitäten
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Köstlichkeit :-)
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und waren es
leidlich zufrieden. Am nächsten Tag widmeten wir uns den „Via Cava“, den noch
von den Etruskern bis zu 20 m tief in den Tuffstein getriebenen, absolut
faszinierenden und geheimnisvollen Hohlwegen, die sich zu Füßen Pitiglianos
entlang zogen und gewöhnlich zu einer der etruskischen Nekropolen führen.
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Das schabte der Etrusker seinerzeit in den Tuff, um besser tote Etrusker bestatten zu können
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Nach einer Siesta (hitzehalber) zog es uns erneut ins centro storico, wir
sahen uns aber auch die (nicht besonders erwähnenswerte) „Neustadt“ von
Pitigliano an, wo wahrscheinlich der Großteil seiner > 3.600 Einwohner lebt.
Zum Sonnenuntergang gingen wir zu einem Aussichtspunkt gegenüber von Pitigliano,
um das hier zu sehen:
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Post-fucking-karte! Idyll.
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Beseelt nahmen wir auf dem Nachhauseweg etwas zu Essen vom lokalen
Fast-Food-Höker (gibt es auch in Italien) mit, verzehrten es in der ungeliebten
Bleibe und beendeten den Tag.
Bagnoregio
Auf dem Weg nach Bagnoregio hielten wir noch kurz im hübschen Bolsena
an,
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stehen hier überall rum
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wo wir zur dortigen mittelalterlichen und seitdem kaum veränderten Festung „Rocca
Monaldeschi della Cervara“
heraufkraxelten und den Bolsena See zu ihren Füßen
in Augenschein nahmen:
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was soll man noch sagen?
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In Bagnoregio angekommen bezogen wir ein riesiges Appartment
(Schlafzimmer, Kinderzimmer, Wohnküche, großes Bad) in einem großen,
freistehenden Landhaus, draußen auf dem Felde (das nennen sie hier:
„Agroturismo“). Außer uns waren noch zwei andere Familien da, mit denen man
sich das Anwesen teilt und zum Beispiel den schönen, gut gepflegten Pool
gemeinsam nutzen kann. Letzteres tat ich abkühlungshalber zischend ausgiebig,
später gesellte sich sogar die schnell fröstelnde Liebste dazu und ein Ball
wurde geworfen; hernach hielten wir Siesta im Schatten der Bäume, lasen, dösten
und brachen am späten Nachmittag auf gen Civita, einem Highlight unserer Reise:
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und in echt ist das sogar noch phantastischer :'-)
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Diese „sterbende Stadt“ liegt mit in einem Tal auf einem erhöhten Sockel,
auf dem sie ausschließlich über eine schmale und steile Fußgängerbrücke zu
erreichen ist und wird allmählich immer weniger, an Einwohnern (Stand heute:
11) und Substanz. Erstere holt der Schnitter, letztere spült der Regen fort. Es
ist sehr schön und von ganz eigentümlichem Charakter da oben und ich bin froh,
da gewesen zu sein.
Man könnte sogar Ferienwohnungen dort mieten. Idealerweise bringt man
aber beim Einzug gleich seine Lebensmittel für eine Weile mit, denn einen Laden
gibt es nicht und der Weg in die „Neustadt“ ist lang und beschwerlich. Doch für
etwa eine intensive, melancholische Klausur mit Musik, Lesen und Schreiben,
wunderbarem Ausblick (Sonnenauf- und -untergang werden von dort grandios
aussehen) und einer gewissen (doch nicht totalen) Abgeschiedenheit mag dieser
moribunde Ort sehr wohl ein famoser sein.
Als es dämmerte, stiegen wir von der Civita herab
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ich sach ja: überall, auch in Bagnoregio
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und aßen im „Janky“ zu Abend, das wir eher zufällig auswählten, das sich aber als absoluter
Volltreffer erwies und wo wir speisten wie die Könige. Im Falle der Liebsten
abgefüllt mit einem doppelten Limoncello „auffe die ‘Ausse“ holten wir noch ein
paar Kleinigkeiten im einzigen Minisupermärktchen, das sonntagabends noch
aufhatte für das Frühstück ein und kehrten bester Dinge zur Bleibe zurück. Im
Schlafzimmer gab es kein Klimagerät gab, dafür aber wenigstens ein elend
unbequemes Bett, und so kam ich endlich zu dem Schluß: die Italiener machen keine Betten. Außerdem gab es einen siebenfach
verfluchten Köter auf dem Nachbargrundstück, der mitten in der Nacht ab 2 Uhr zwei
Stunden lang dauerzukläffen geruhte. Da ihn niemand zur Raison brachte noch
totschlug, bestand (für mich) keine Chance auf Schlaf, so daß wir am nächsten
Morgen, ich groggy und zerstört, die Liebste von Mücken, die durch kein
Fliegengitter vor den geöffneten Fenstern von reichem Mahl an ihrem heißen Blute
abgehalten, zum Streuselkuchen zugerichtet, nach improvisiertem Frühstück zur
nächsten Station aufbrachen.
Orvieto
Bevor wir aber Bagnoregio in Richtung Orvieto verließen, machten wir noch
Halt bei und stiegen in bereits recht tüchtiger Hitze hoch zur Borgo
fantasma di Celleno (der Italiener baute sein Burgen stets so, daß es eines
rechten Geklimmes bedarf, um sie zu erreichen), einer verlassenen und
verfallenden Gespensterburg, einige von deren Gebäuden aber noch für
Ausstellungen und unheimliche und stimmungsvolle Installationen genutzt werden:
Eigentlich wollten wir uns auch die „Cascata del Rio Chiaro“ Wasserfälle
ansehen, aber nachdem uns google maps abermals dreimal an scheinbar zufällig
ausgewählte Orte, die sowas von keine Wasserfälle vorhielten, geführt hatte und
die Liebste letzthin gar beim Erkunden der Gegend auf einem steilen, rutschigen
Schotterweg hingeschlagen war, gaben wir entnervt auf und fuhren nach Orvieto
in den nächsten Agriturismo.
Auch hier war das ein freistehendes Landhaus, das von mehreren Parteien
genutzt wurde; wunderschön, mit wildem Garten, Pool, Liegewiese und einem
besonders schönen, interessant geschnittenen Zimmer, großzügig, direkt unter
dem erhöhten Dach, mit guter Klimaanlage, allerdings recht dünnen Wänden und
einer kleinen Treppe, die zum Bad hinaufführte.
Wir hatten uns vor Ankunft in der Unterkunft im örtlichen Lidl (in der
Tat) ein wenig Nasch- und Knabberwerk besorgt, mit dem, Baden im Pool, Lümmlen
auf der Lümmelwiese und allgemeinem Wohlsein wir den Nachmittag durchbrachten.
Zum Abend wollten wir, Naivlinge und deutsche Wandergemüter die wir sind, nach
Orvieto, das wie viele Orte in dieser Gegend, ein auf einem Steinsockel
liegendes historisches Zentrum besitzt, und zum Essen emporsteigen und baten
google maps um eine Route für „zu Fuß“. Diesmal übertraf sich der teuflische
Algorithmus selbst: ersteinmal führte er uns einen Kilometer an einer stark
frequentierten Schnellstraße vorbei, deren Randstreifen großzügige 15 cm für
Fußgänger bot; dann bog an einer Stelle, wo auch der Eingang zur etruskischen
Nekropole lag (die selbstverständlich an
den Tagen unseres Besuchs geschlossen war), ein in ein Waldstück ansteigender
Pfad von der Straße ab, den zu nehmen wir geheißen wurden. Wir stiegen ein
Stück, gingen ein Stück auf ebenem Weg weiter und stiegen dann wieder hinab, wo
wir an derselben Autostraße landeten, die wir doch eben erst glücklich
verlassen. „Und nun rechts“, befahl google, allein an besagter Stelle ragte
eine Felswand senkrecht empor, hoch über
unseren Köpfen zu einem Plateau zurücktretend, auf dem Orvieto lag.
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unterhalb der Hauptstr. findet google einen Geheimweg, der durch den Felsen führt
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Dann dämmerte es uns… „es wird doch nicht?“ Es gab tatsächlich eine
tunnelähnliche Mündung in der Felswand, die hinter Gestrüpp etwas versteckt von
einem alten, rostigen Gitter versperrt war, das man zur Not wohl hätte
aufstemmen können;  |
Weg in die Finsternis
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dahinter lag, sich in kühle und bald jedes Licht verschluckende,
tintenschwarze Dunkelheit halb emporwindend, eine vor Jahrtausenden in den Fels
getriebene etruskische Via Cava. Google bestand energisch darauf, diesen
offenbar seit Jahrzehnten unzugänglichen, antiken zyklopischen Hohlweg durch
Fels und Dunkelheit zu gehen, den sich, wie die schwächlichen Lämpchen unserer
tragbaren Telephone wiesen, offenbar auch allerlei Getier zur trauten Wohnstatt
erkoren. Während ich in Gedanken noch dem Echo dieser lieben Zeilen nachhing,
Vielleicht, dass
ich durch schwere Berge gehe
in harten Adern, wie ein Erz allein;
und bin so tief, dass ich kein Ende sehe
und keine Ferne: alles wurde Nähe,
und alle Nähe wurde Stein.
Ich bin ja noch kein Wissender im Wehe,
so macht mich dieses große Dunkel klein;
bist Du es aber: mach dich schwer, brich ein:
dass deine ganze Hand an mir geschehe
und ich an dir mit meinem ganzen Schrein.
die Fäuste schon an den Gitterstäben, sträubte sich meine längst
jeglicher Romantik entsagt habende Liebste, hungrig und der Abenteuer für
diesen Tag müde, und stellte ruhig aber bestimmt fest, daß Aktivitäten wie
Gittersprengungen, illegalerweise durch von Gekreuch heimgesuchte uralte Tunnel
ins unbestimmte Dunkel zu steigen und womöglich dort zu verenden, mithin die
Grundlage für das neue Jugendhörspiel „Die 2 Freunde und der Etruskertunnel“ zu
schaffen, mit ihr nicht zu machen seien.
Halb genervt, halb amüsiert gingen wir darob zurück zur Bleibe, bestiegen
das Auto und waren innert weniger Minuten oben in Orvieto, wo wir nach Fahrt
durch beängstigend enge Gässchen und einer weiteren erfolgreichen Anstrengung
in der Disziplin „italienisch Parken“ das Auto loswurden, mitten auf der Piazza
lecker essen gingen und den Tag ausklingen ließen.
Auch Orvieto gefiel uns sehr gut, doch obwohl wir auch hier zwei Tage zur
Verfügung hatten, konnten wir nicht so viel davon sehen, wir gewollt hätten, da
das Wetter umgeschlagen hatte und immer wieder - in recht launischer
Abwechslung mit Eitelsonnenschein - brachiale Regengüsse niedergingen, so daß
wir viel Zeit in der Unterkunft mit Ruhen und Lesen verbrachten. Ein bißchen
aber sahen wir doch, zum Beispiel den absolut faszinierenden „Pozzo di San
Patricio“
und Orvieto von oben vom Torre del moro aus:
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da muß man hoch, wenn man
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DAS sehen will. (Und das will man auf jeden Fall, auch wenn es hier oben so windig war, daß, wenn ich mein Mobiltelephon nicht fest umklammert hätte, es wohl bis in die Adria geweht worden wäre)
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Auch Orvieto, das im Vergleich deutlich größer als die zuvor besuchten
Orte ist (> 19.000 Einwohner), ist vollgestopft mit alten Gebäuden und
Sehenswürdigkeiten; vor allem der Dom soll beeindruckend sein, bis zu ihm haben
wir es wegen einsetzenden Regens allerdings nicht mehr geschafft. Den Abend
verbrachten wir ruhig mit selbstgelideltembasteltem Abendmahl, Film und
gepflegter Konversation und brachen am nächsten Morgen gen Spoleto auf.
Spoleto
Dort angekommen bezogen wir die mit Abstand prachtvollste Herberge der
ganzen Reise: das ****-Hotel dei Duchi.
Wir glaubten an einen Irrtum, als wir unsere nur als Suite zu bezeichnende Bude
betraten: 4 Zimmer mit Balkon (ein Wohnzimmer, ein Schlafzimmer mit Riesenbett,
zwei Bäder, eines derer mit Sprudelwanne (deren Größe leider für rachitische
Legomännchen ohne Schultern ausgelegt war)) mit modernster Ausstattung
erstreckten sich vor unserem ungläubigen Blick und bester Dinge kehrten wir
ein, breiteten uns aus und machten uns bereit, Spoleto zu erkunden.
Allerdings hatten sich die Himmel noch lange nicht leergeweint und waren
die Wetter noch immer so erratisch, daß wir herrschaftlich in unserer noblen
Stube sitzend eine Regenpause abwarten mußten, in der wir wenigstens zwei der
Hochlichter Spoletos in Augenschein nehmen konnten: den Duomo und die Ponte delle Torri. Auf dem Weg dahin gab es übrigens Aussicht:
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egal, wo Du in diesem Land bist: andauernd ist das so. Wie hält man das aus, ohne vor Wonne kaputt zu gehen?
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Von außen ist der Duomo nix Besonderes,
aber selbst ich als aktenkundiger
Non-Aficionado von Christentum, Jesusklumpatsch und Heiligentümelei war ich doch
beeindruckt und erfreut von soviel farbenfrohen und ganz offensichtlich
meisterhaften Kunsthandwerks dessen in Augenscheinnahme noch durch (zwar vom
Band stammende, aber immerhin) durch den Duomo hallende Orgelklänge versüßt
wurde:
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"Storie della Vergine" von Lippi (1467-1469)
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Capella della santissima Icone
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Inhaltlich natürlich alles grober Unfug, Quatsch mit Sauce und Käse aber
die Ergriffenheit und Ernsthaftigkeit, mit der diese Fantasyszenen künstlerisch
verewigt wurde und die Unbeirrbarkeit und Unbedingtheit, mit der damals an ein
anderes, besseres Leben nach dem Jammertal hienieden, bis zum Ende an ein „das Beste kommt
noch“ geglaubt wurde, berühren einen in ihrer Unbedarftheit und naiven
Entschlossenheit schon.
Danach gingen wir weiter zur Ponte. Auch diese, ein mittelalterliches Aquädukt
aus dem 14. Jhdt., 76 m hoch, 230 m lang, war beeindruckend (wenn auch an
diesem Tag, natürlich!, geschlossen, d.h. nicht überquerbar):
Da sich über uns schon wieder die Wolken zu türmen und die Himmel zu
verfinstern begannen, zog es uns zurück in die feine Stube, woselbst wir die
Zeit mit Müßiggang, Lektüre und derlei Süßigkeiten vertaten, bis es Abend und
Zeit für das zuvor reservierte Dinner im Hotelrestaurant wurde.
Selbiges stellte sich als einziges Lowlight von Spoleto heraus, denn trotz
der geringen Zahl an Gästen im Speisesaal dauerte es 40 Minuten, bis wir das
akzeptable (mehr nicht) Antipasto (Auswahl an Schinken, Käse und Salumi)
serviert bekamen, das wir uns teilten. Als zweiten Gang (bzw. nach
italienischer Zählweise „primo piatto“) hatten wir beide die gleiche Pasta
bestellt. Doch als man ihn auftrug, staunte ich nicht schlecht, da die Portion
allenfalls für von einem All-you-can-eat-Buffet kommendes Playmobilmännchen mit
Magenbypass, das keine Pasta mag, angemessen gewesen wäre. Als wir aufgegessen
hatten, ca. 2 Minuten später, zahlten wir und verließen die ungastliche Stätte,
wo das Schlimmste, Ärgste, Garstigste übrigens das „Brot“ gewesen war. Jene
durch einen Backvorgang in trockenste Erstarrung gezwungene Widerlichkeit war
uns zusammen mit den Getränken auf den Tisch gestellt worden und zuerst glaubte
ich, als ich den ersten Bissen im Mund bewegte, ich äße versehentlich eine
eigenwillige Deko, die wie Brot aussehen sollte. Dieses Zeug, das ich nicht
durch die respektvolle Bezeichnung Brot
adeln werde, war ganz offensichtlich steinalt, trocken und dennoch zugleich zäh
mit spektakulär unattraktiver Mundhaptik und schmeckte auf schlechtestmögliche
Weise nach nichts. Diese zerfurzte Matratzenfüllung war so absurd weit von ‚Brot‘
zu Nennendem entfernt, daß ich in einer Mischung aus Überraschung und Empörung
auflachte, so schlecht war es, so auch die Liebste. Es mußte sich bei dieser Abscheulichkeit wohl um
eine besonders mißlungene, miserable Manifestation des traditionell ungesalzenen
„Brotes“ der Toskana handeln (wo wir uns schon gar nicht mehr befanden): Angeblich geht, so weiß es die Wikipedia, die Tradition, das Brot
nicht zu salzen, auf einen Streit zwischen den rivalisierenden Stadtrepubliken
Pisa und Florenz im Mittelalter zurück. Pisa
erhöhte die Salzsteuer erheblich und Florenz beschloss, sich nicht erpressen zu
lassen und das Brot eben ohne Salz zu backen.
Es sei dem
Toskaner, der es für zulässig hält, Brot ohne Salz zu machen, daher hiermit
kundgetan, daß Pisa und Florenz und die ganze Toskana Frieden haben, man keine
Salzsteuer mehr entrichten muß, Salz frei erwerblich ist und ohne in den Ruin
zu gehen soviel dessen in seinen Brotteig gegeben werden kann, wie man will und
es nötig ist, daß es schmeckt. Und nein, es ist nicht putzig, geschichtsbewußt
oder tradiotionstreu, sein Brot nicht zu salzen, weil es früher mal so war,
sondern einfach nur dumm und scheiße! Gern geschehen, Italien und Italientouristen
(besonders Deutsche).
Nach dem Essen bzw. Eßchen rechtschaffen hungrig zogen wir noch kurz nach
Spoleto aus, um mir ein Panini mit Prosciutto crudo zu besorgen, das, im Zimmer
verzehrt, mir endlich Geschmacksgenuß und Sättigung verschaffte. Nach
angenehmer Nacht wurde uns noch ein sehr gutes Buffet und frischer Kaffee zum
bisher besten Frühstück in Italien kredenzt, so daß wir zufrieden und versöhnt
auscheckten und zur vorletzten Station aufbrachen.
Palestrina
Schon als wir zur
Mittagszeit die steilen Straßen zur Stadtmitte Palestrinas hinauffuhren,
begegneten uns auffallend wenige Menschen, alles wirkte wie ein ausgestorbenes
Geisterdorf. Wir stellten das Auto ab und suchten unsere Unterkunft. Man hatte
es wohl überflüssig gefunden, ihren Namen an die betagte Fassade zu schreiben –
so rieten wir - offenbar richtig - und betraten wahllos ein ältliches Gebäude,
auf dem in altmodischen, ausgeschalteten Leuchtbuchstaben über einer
verschossenen und in ihrer ausgefahrenen Position festgerosteten Markise
„Albergo“ stand.
Das „Hotel“ war aus
der Zeit gefallen und das ist jetzt nicht nur so eine Redensart. Es war in den
60ern eröffnet und seither offenbar größtenteils unverändert gelassen worden.
Im uralten Aufzug hing eine vergilbte und sehr positive Rezension des Hauses
aus den 70er Jahren! Es war offensichtlich, daß in diesem Hotel seit seiner Eröffnung
die Zeit stehen geblieben ist (es gibt z.B. keine Elektronik, stattdessen ein handschriftliches
Gästebuch und Karteikarten, in dem man umständlich und mit zum Blättern
angeleckten Fingern unsere Reservierung suchte); alles wirkte völlig überholt
und altmodisch (und nicht auf eine gute Weise), war zernutzt, abgestoßen,
bröckelte und/oder war marode und so häßlich, daß es schon wieder witzig war
(an der Rezeption lag ein Touristenführer für Palestrina zum Ausleihen, aus dem
Jahr 1981 :D); die halb ausgefallene Flurbeleuchtung war so schlimm und
zugleich unheilvoll bläulich und düster, daß es zusammen mit dem Linoleumboden
wirkte wie das Horrorkrankenhaus in
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Silent Hill |
Das Motto des muffigen Personal (oder seiner ruhelosen untoten Seelen,
die verdammt sind, an diesem Ort zu verweilen, bis sie eine 5-Sterne-Bewertung
bei TripAdvisor bekommen), das wahrscheinlich noch aus der Gründerzeit des
Hotels stammt, scheint hinsichtlich jeglicher Art von Fortschritt und damit
einhergehendem Komfort zu sein: „Neumodischer Tinnef, brauchen wir nicht!“ In
der "Lobby", einer Art Flur mit alten Ledersofas, liefen zwei
Fernseher UND ein Radio mit unterschiedlichen Programmen gleichzeitig laut und
um die Wette, so daß an ruhig dort sitzen und lesen nicht zu denken war, da man von der Kakophonie in kurzer
Zeit meschugge wurde.
Auch die Zimmer waren superhäßlich und ähnlich heruntergekommen und
uneinladend wie der Flur; es gab nur schreckliche, grellweiße Beleuchtung und als
wir abends zurück ins Zimmer kamen und das Licht einschalteten, gab es erst
einmal im ganzen Haus für mehrere Minuten einen Stromausfall. Die Betten waren,
wie gewöhnlich, unbequem, die Schränke klemmten, die Klimaanlage war
offensichtlich antik (und sowieso aus), im Bad gab es Silberfische und die
Wände waren so dünn, daß man den Säugling nebenan plärren und die Jugendlichen
auf dem Platz vor dem Hotel bis 3, 4 Uhr in die Nacht balzen und herumproleten
hören konnte, was den Schlaf sehr erschwerte.
Das Ganze wirkte wie eine Mischung aus Norman Bates‘ Motel (wobei die
Mutter statt im Keller zu verwesen, noch Dienst am Schalter tat), einem
verlassenen Krankenhaus, in dem es spukt und einem verstaubten und seit den
90er-Jahren wegen Einsturzgefahr und Schädlingsbefalls geschlossenen
Beatnik-Museum.
Doch genug des Abschweifs, wir waren nicht des Hotels wegen in der, wie
sich zeigte, ziemlich merkwürdigen Stadt vor den Toren Roms, sondern u.a., um
den steilen Straßen und Hängen ihrer Altstadt herumzusteigen, die in ihrer
heutigen Position zur Römerzeit in einer riesenhaften Tempelanlage gelegen
hätten. Das „Heiligtum“ selber schauten wir uns nicht an, da uns der Eintritt
überzogen teuer erschien, stiegen aber so hoch, bis wir die letzten
Häuserreihen erreichten und wurden mit einem spektakulären Ausblick belohnt:
Bei all dem begegnete uns kaum eine Menschenseele, wodurch sich der Eindruck
der toten Stadt noch verstärkte. Auch bot sich mir eine Szene dar, die ich als
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"Der Italiener. Geschichte in einem Bild" |
bezeichnen möchte :D
Nach einer kleinen Siesta schauten wir uns
dennoch tapfer weiter um, auch wenn der Besichtigungsmuskel langsam zu ermüden
unsere touristische Disziplin nachzulassen begann, sahen uns noch die zigste
Kirche an, freuten uns auch hier an den alten Häuschen, der Vintage-Patina und grüßten
die Statue Giovanni Pierluigi Palestrinas,
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hat vieles richtig gemacht
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der nachvollziehbarerweise von hier
stammte und kehrten am Abend, als langsam Leben in die Stadt und die Leute aus
ihren Häusern auf die Straße kamen in einer unscheinbaren Schenke, dem
„l’Oracolo“, ein und genossen dort ein vorzügliches Mahl aus Focaccia, heiß und
frisch aus dem Steinofen, Trüffelpasta (Liebste) und Pizza (nach römischer Art, mit dünnem, knusprigen Boden und schmalem Rand) mit Lardo di Colonnata
(moi). Dazu bestellten wir nach all den Wasserorgien der letzten Tage genüßlich
eine Literflasche Coca Cola. Diese war aus Glas und das eiskalte Gesöff aus ihr
schmeckte herrlich und viel besser als jenes aus den bekannten Plastetuben.
Zur Nacht dann, die
weder gut noch geruhsam sein sollte, legten wir uns schließlich widerwillig in
unserer Horrorherberge nieder. Etwaige Gespenster suchten uns nicht heim
sondern waren vermutlich bereits an Altersschwäche gestorben. Am Morgen gab es
ein überraschend unschlechtes Frühstückchen aus frisch gebackenem Croissant,
Einzeldosisverpackung Nutella und ordentlichem Kaffee, das uns der grummelige
und uralte Gemahl der Empfangsdame hinstellte.
Rom
Gegen 9 Uhr
verließen wir diesen merkwürdigsten Ort unserer Reise und fuhren eine halbe
Stunde bis zum Billig-Flughafen Roms, dem „Ciampino“, wo wir das Auto abgaben
und von dort aus mit Bus und Metro in die Innenstadt gelangten: gut 24 Stunden
in Rom lagen vor uns. Es begann mit einem Paukenschlag, denn als wir die
Metrostation „Termini“ verließen, verhielten wir unseren Schritt und standen
unmittelbar hiervor:
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kolossal. Bei Tag
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und bei Nacht!
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Auf den ersten Blick ein beeindruckendes Gebäude, das nicht von seiner
überlebensgroßen Reputation zu trennen ist: stets denkt man „DAS ist das
berühmte Kolosseum!“, wenn man es sieht, den Kopf im Nacken, um es in Gänze zu
erfassen.
Wir suchten schnell unsere nicht weiter erwähnenswerte, weder schlechte
noch gute Unterkunft, 5 Gehminuten vom Kolosseum auf, luden unser Geraffel in
ein winziges Zimmerchen und stürzten uns wieder in das Abenteuer Rom. Wir
gingen als Erstes zurück zum Kolosseum und umrundeten es einmal komplett (hinein
wollten wir nicht, aus Prinzip: zu teuer, viel, viel zu viele Leute und aus
Sorge, nur enttäuscht feststellen zu können; „Wie? DAS isses?!“). Und erst,
wenn man es umrundet und auch die weniger häufig photographierten Schmuddelstellen
zu sehen bekommt, bröckelt die Fassade bzw. differenziert sich der Eindruck,
der sich einem davon vermittelt.
Deshalb und allgemein muß ich an dieser Stelle die Römer (also die neuen,
nicht die alten) einmal schelten. Es ist ihnen nicht gelungen oder sie hatten
keinen Wert darauf gelegt, das Kolosseum, aber auch viele andere bekannte Bauten,
all die grandiosen Hinterlassenschaften der Antike, Zeugnisse einstiger Größe
und Macht, nicht einmal die berühmtesten und bedeutendsten auf eine würde- und
sinnvolle Weise, in die moderne Groß– und Landeshauptstadt, die Rom geworden
und heute ist, einzufassen. Das Kolosseum steht mitten in der Innenstadt, neben
einer breiten Verkehrsstraße, einfach so ‘rum. Es ist nicht irgendwie
abgetrennt, es gibt keine Umfassung, keine „Hinleitung“, keine Wege, die zu ihm
führen; stattdessen sind häßliche Absperr-Gitterzäune an einigen Stellen um es
herum aufgestellt, die Sprayer oder sonstige Vandalen schwerlich aufhalten
würden. Polizisten oder Sicherheitsheinis, die es bewachen, gab es hingegen
keine.
Auch wirken viele der antiken Stätten ungepflegt, leicht heruntergekommen,
manchmal regelrecht schäbig und nicht ihrer Bedeutung entsprechend präsentiert,
so, als würde nicht viel Mühe und Geld investiert, um sie instand und in einem
präsentablen, ansprechenden Zustand zu erhalten. An Geldmangel kann das wohl
nicht liegen, wenn man die horrenden Eintrittspreise und die „Tourismusabgabe“
in Höhe von 4 € pro Nacht und Nase gewärtigt; allein letztere dürfte der Stadt
eine halbe Milliarde pro Jahr einbringen. So wird eine etwas unsympathische
Haltung kenntlich: man ist sich des nicht abreißenden Touristenstroms sicher,
kann an Eintritt fast verlangen, was man will, muß aber nicht viel tun, um die
Sehenswürdigkeiten zu erhalten oder gar attraktiver oder schöner zu
präsentieren.
Ich hatte daher den
Eindruck, daß es Rom nicht gelingt, seine zwei „Funktionen“ oder „Aufgaben“
parallel zu bewältigen und zu integrieren: als größte Metropole (2,8 Mio.
Einwohner) und Hauptstadt Italiens mit dem ganzen anhängigen Politzirkus,
Administration etc. und als eine der
bedeutendsten historischen und kulturgeschichtlichen Stätten der westlichen
Welt mit all seiner jahrtausendelangen Geschichte, seinen unzähligen Bau- und
Kunstwerken aus verschiedenen Epochen seit der Antike, die jedes Jahr Millionen
Menschen nach Italien ziehen, die sie bewundern und besichtigen möchten. Man
hat das bei der Stadtentwicklung und -planung offenbar nicht berücksichtigt und
überall war es schwarz von in ihren Strömen nicht gelenkten oder gesteuerten,
einander auf die Füße tretenden, knipsenden und schlangestehenden Touristen und
irgendwo dazwischen müssen ja auch noch ein paar Italiener, die tatsächlich in
Rom leben und/oder arbeiten (müssen), darunter gewesen sein. Wenn eine Stadt
derartig viele Touristen anzieht wie Rom, muß sie, so meine ich, darauf achten,
die Strukturen und Angebote, die nur den Touristen dienen, nicht überhand
nehmen zu lassen, um den Charakter der Stadt, die ja in erster Linie auch
Heimat und Lebensraum der eigentlichen Einwohner ist und sein sollte, nicht zu
verderben und eine einziges Touristeninferno daraus zu machen.
Mir kam der
ketzerische Gedanke, daß die zeitgenössische Mentalität der heutigen „unregierbaren“ und sich als „spontan“ gefallenden, eher zu
Improvisation als Planung neigenden Italiener weniger gut zu den Erfordernissen
der beiden Aspekte Roms passen könnte, als die der antiken, alten Römer, die
ein Weltreich schufen und deren Erbe ihre heutigen Nachfolger anscheinend so
gering schätzen.
Davon, von der
Überwältigung und Sinnenüberflutung und den affenartigen Touristenmassen
ÜBERALL, die man in Rom unweigerlich erlebt, hat es uns dort gut gefallen;
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Trevi-Brunnen |
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Pantheon |
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Fontana dei Fiumi
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die
Stimmung in der Stadt, vor allem als es auf den Abend ging, war sehr angenehm,
zugleich geschäftig und quirlig aber auch irgendwie anregend und erwartungsvoll,
mit all den Möglichkeiten, die sich einem ständig und überall bieten. Nach all dem
italienischen Essen hatten wir Lust und fanden es angenehm kontraintuitiv, in
der Hauptstadt Italiens an unserem letzten Abend etwas peruanisches zu essen,
die Liebste verlangte es heftig nach „pollo a la brasa“, welches angeblich im „Inka
Chicken“ geboten wird; allein, auf dem Weg dahin kamen wir am „Lima Bistrot“
vorbei und blieben nach kurzem Plausch mit dem Kellner auch gleich da, nachdem
dieser versprochen hatte, daß es hier auch gutes „pollo a la brasa“ gebe. Gab
es. Und Inka Kola und eine erbaute Liebste.
Und einen schönen, sanften Ausklang
einer grandiosen Reise durch ein phantastisches Land.
Am nächsten Morgen traten
wir nach dem Frühstück und due cappucini in einem Straßencafé den etwas
komplizierten Rückweg an (zu Fuß zur Metro, mit dieser zum Bahnhof, von dort
mit dem Zug zum Flughafen), landeten wenig später in Köln und kamen ohne die
üblichen und möglichen Fuck-Ups am späten Nachmittag zu Hause an.
Fazit: Und wie ist es nun, dieses Italien? Nun, es
war eine wunderschöne, intensive, komplexe Reise, überreich an Eindrücken und Erlebnissen,
voller Genüsse. Ich traue mir an dieser Stelle nur zu, zu sagen: das, was ich
gesehen habe, ist sehr, sehr schön. Tolle Landschaften, schöne, alte Städtchen
und Orte, gutes Wetter, nette Leute. Eine Kultur an Speisen und Essen, die
ihresgleichen sucht (ich habe nirgends auf meinen Reisen so oft so gut
gegessen). Meine Sehnsucht ist nun für’s Erste befriedigt aber sicher nicht
dauerhaft gestillt und oft noch und voller Freude, so weiß ich schon heute,
werde ich wieder Italien bereisen.
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Reisezeit: 21.08.23 – 01.09.23