Samstag, 15. Juli 2017

Allgäu

Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler

- Goethe
 
Anreisetag

Es geschehen noch Zeichen und Wunder. Sagt jedenfalls der Herr V. Olksmund und nach reichlich, deftig und unmißverständlich gehabter Erfahrung mit jenem gewissen, kleinen verträumten Schienverkehrsunternehmen und seiner überaus hartnäckigen Neigung, auf allen von mir bereisten Strecken unflätige, geradezu herkulische Verspätungen und sonstige Unbilden zu exerzieren, scheue ich mich nicht, die Tatsache, daß ich trotz drei, in Zahlen: 3-maligen Umsteigenmüssens sämtliche Anschlüsse geschafft und meinen Zielbahnhof Sonthofen wahrhaftig auf die Minute pünktlich erreicht habe, als mittleres Wunder zu bezeichnen.

Ich liebe das Allgäu. Schon in Kempten, wo ich umzusteigen hatte, roch es unverkennbar nach dem Allgäu und sofort erwachten in mir tiefste, anheimelnde Erinnerungen aus einer heilen Kinderwelt. Als ich dann in Sonthofen, vor dem Bahnhof meine Droschke erwartend, den Blick auf- und höherhob bis er den Buckel des lieben alten Grünten erfaßte, fühlte ich mich im besten Sinne angekommen. Was soll ein Mensch ohne Berge? Hier muß man sein.
Mit dem Wetter stand es nicht zum Besten, in dramatischen, schweren Himmel dräuten bereits graue Wolkentürme, die Vorboten eines nahenden Gewitters.

das Rubihorn

Im Hotel angekommen freute ich mich über einen Begrüßungscappucino in der alt- und tiefvertrauten Empfangshalle und drehte anschließend eine Erkundungsrunde, um all die Neuerungen zu gewärtigen, die seit meinem letzten Besuch vollzogen worden waren. Am auffälligsten ist sicher der Farbwechsel an der Außenfassade des Hauptgebäudes, von dunkelbraun zu sandbeige,

neue, helle Sonnenalp-Fassade

der durch einen Austausch des vormals dunkelbraunen Holzrahmens durch helles Lärchenholz bewirkt wird und inzwischen schon bei einem Großteil der Gebäude fertiggestellt ist. Aber auch im Inneren wurde vieles dem neuen Stil angepaßt, was sich vor allem auf den langen Gängen bemerken läßt.
Eine besonders große Veränderung stellte ich mit einiger Wehmut im Restaurantbereich fest, denn die Taverne existiert nicht mehr und wo sie war, gibt es nun „Fäßlers Grillstube“, ein à la carte BBQ-Restaurant mit „live cooking“. Und auch ein großer Teil des alten Goldclubs wurde zum Restaurant umfunktioniert. Hmpf. Sieht natürlich alles sehr edel und hochwertig und auch stimmig aus, aber trotzdem, das ist zuviel der Veränderung. Ich mochte die Taverne so wie sie war :-(

Dem Tagesplan, der guten alten Sonnenalp-Post, entnahm ich, daß um 16 Uhr ein Blackroll-Kurs stattfinden würde, woran teilzunehmen ich mich entschloß. Dabei handelt es sich um einen etwa 40 cm breiten, etwa oberschenkeldicken, sehr harten Schaumstoffzylinder, auf dem man herumzurollen geheißen wird. Und zwar auf eine Weise, die gedeihliches Malmen der Faszien im ganzen Körper gestatten soll. Da die meisten Teilnehmer unfit, untrainiert und keine Schmerzen gewohnt waren, erhob sich alsbald ein Keuchen und Wehklagen ob der ungewohnten und keineswegs angenehmen Empfindungen in den malträtierten, gewalkten Bälgen. Ich hingegen hielt es gut aus, fand es interessant und war’s zufrieden.

Kein Sonnenalptag, auch der erste nicht, darf zuende gehen ohne das präprandiale Saunaritual. So packte ich mir mein Körbchen mit Saunabedarf, pilgerte zum Tempel des Schwitzens – hier hatte man alles beim guten Alten belassen – und ließ es mir wohlergehen: saunieren (mit Eukalyptusaufguss), kurz abduschen, Eistauchbad und sofort danach heißer Whirlpool, Kneipwatbecken, langsames Wandeln im Garten und dann zugedeckt auf einer überdachten Außenliege mit Grivf auf den Ohren einem vorzüglichen Alpengewitter beiwohnen, dabei wegdösen und für nur einen Augenblick das Bündel ablegen.

Ohne reserviert zu haben suchte ich im Anschluß und sehr hungrig die neue Grillstube auf und speiste sehr gut, unter anderem eine Auswahl Blattsalate mit Weizengrieß, Mandelsplittern und Kirschen (!) und später Beef-Ribs mit Süßkartoffelfritten. Den Nachtisch aber nahm ich nicht von der Karte sondern ließ mir selbstverständlich und der Tradition folgend von der eigens dafür abgestellten Bratomse Crêpes mit Nutella fertigen. Und um den Einstand dieses Urläubchens zu begehen, genehmige ich mir, während ich dies schreibe, als Absacker einen knatschgrünen fruchtigen Cocktail am Kamin in der Empfangshalle.



Tag 1

Sie werden doch nicht etwa…. ?! Das Frühstück, DAS Haupterkennungs- und Sehnsuchtsmerkmal der Sonnenalp, dieses grandiose Buffet, wo es alles gab, 10 verschiedene Brötchen- und 12 verschiedene Brotsorten, feilgeboten auf einem hölzernen Bollerwagen, zig verschiedene Brotaufstriche, Müsli- und Obstsorten, Actionköche, die einem alles brieten, was man wollte, einfach alles, einfach alles, einfach alles, es war weg! Also fast: auf dem vetrauten runden Buffet standen ein paar Schalen mit Obst und 3 Müslisorten, ein bißchen Quark, ein paar armselige Semmeln, das war es. Ich konnte es nicht fassen! Das KÖNNEN sie mir nicht angetan haben. Angeschlagen wankte ich weiter und fand endlich, versteckt hinten in einer Nische das „richtige“ Buffet, wo all die gewohnten Spezereien auf mich warteten.
Muß doch nicht sein, einen ca. 29-jährigen schon am frühen Morgen so zu erschrecken. Verdammte Veränderungen! Ich stärkte mich, um bei der anstehenden Bergtour über den Walraffweg bei Kräften zu sein. Hätten meine Wanderschuhe am besten auch mal getan. Sie machten schon vor der Tour einen so schlechten Eindruck,

vorher
 daß ich vorsichtshalber Ersatzgaloschen in den Rucksack tat. Bei der ersten Rast hatten die alten Treter es endgültig und völlig hinter sich und ich mußte umschuhen.

nachher

Davon abgesehen war es eine schöne Tour mit feinen Ausblicken allenthalben



interessanten Bäumen


und einer zünftigen Brotzeit mit alkfreiem Radler

"Büble" heißt das Bier für Non-EtOHs

Abends wurde selbstredend das Sauna-Ritual zelebriert und kulinarisch mit einem goutablen Dry-Aged-Rib-Eye-Steak abgeschlossen.

Tag 2

Nach reichhaltigem (immer noch fremdelnden) Frühstück bestieg ich um 10 Uhr eine himmelblaue fahrbare Penisprothese, die ich am Vortag hatte reservieren lassen. Mit diesem lächerlich hochgezüchteten Geschoß ballerte ich durch die wunderschöne Allgäulandschaft unter einem Himmel, der mit dem Blau meines Boliden konkurrierte, Richtung Oberstdorf, um mir für die Bergtour am kommenden Tag dringend benötigte neue Wanderlatschen zu besorgen. Dazu ließ ich Dark Tranquillitys „Atoma“ laufen, den Herrgott eine ausgedachte Instanz sein und es mir gut gehen.
Die neuen Botten waren schnell erstanden, der Tag noch jung und das Auto noch 2,5 Stunden zu meiner Verfügung. Was also tun? Warum nicht mal zur Breitach Klamm und mein lieber Schollischwangesangsverein war das eine Granaten-Idee! Selten so ein eindrucksvolles Naturspektakel gesehen, das mir auch die Scharen von Touristen und Adoleszenten, die sich über die schmalen Stege laborierten, nicht verderben konnten. Mit Funeral Doom auf den Ohren hörte ich deren Geplärre und Geschäker nicht und ergötzte mich offenen Mundes an den erhebenden und faszinierenden Anblicken, die auf Photos leider nur sehr unvollkommen wiedergegeben werden können.






 Ich werde ganz sicher zurückkehren!

Der Rest des Tages wurde mit Leibesertüchtigung, Liegerei, dem Sauna-Bacchanal und einem 300 g Filetsteak mit Süßkartoffelpommes sehr sehr angenehm verbracht.



Tag 3

Ich habe jetzt schon eine ganze Weile Urlaub und trotzdem hat mein Schlaf-Wach-Rhythmus nicht der Versuchung nachgegeben, die man durchaus in der Möglichkeit, aus- d.i. länger als 7.30 Uhr schlafen zu können, sehen könnte und so trat ich also um kurz nach 8 in der noch ziemlich leeren Frühstückswelt (zum neuen Sonnenalpargot gehört nämlich jetzt die Soundso-„Welt“) in Erscheinung und labte mich weidlich am Feilgebotenen, abermals nicht nur zu Genußzwecken, sondern auch, um hinreichende Grundlage für die heutige Wanderung zu schaffen.
Um 10 verließen wir dann auch schon mit dem über 70-jährigen aber bestens in Form gebliebenen Hans-Peter die Sonnenalp und fuhren über Hindelang zum Anfangspunkt der Tour, die uns über den Palmenweg, vorbei am Schleierfall



zum Oberjoch führen sollte und wirklich sehr schön war.

es hatte geregnet und die Wege waren nicht immer trocken, das neue Schuhwerk hatte sich zu bewähren




Eingekehrt wurde auf der Ochsenalpe zu Spezi und Apfelstrudel und danach ging das letzte Stück des Wegs einen Tobelweg durch einen verwunschen wirkenden Wald herab:



wenn das nicht wie ein Walddämon mit Rüssel und Hörnern aussieht, was denn?
 
Wieder einmal hatte ich mir selbst gegenüber zuzugeben, daß, müßte ich mich zwischen Bergen und Meer entscheiden, ich wohl immer die Berge wählen würde, die mir in meinem nördlichen Exil so schmerzlich fehlen.
Meine neuen Treter machten sich indes famos und dürfen nunmehr als geprüft und eingeweiht gelten. Zehn Jahre werde ich sicher etwas von ihnen haben. Nach der Rückkunft verschlug es mich in den Quellengarten und den Felsenwhirlpool zur Erfrischung und Besänftigung des Leibes und auch heute durften die üblichen Sauna-Saturnalien, diesmal mit Aufguß und professioneller Luftverwedelung, nicht fehlen, nach denen ich meinen Platz in der Grillstube einnahm und dort u.a. den lobenswerten Sonnenalp-Vintage-Burger (mit Bergkäse, Gurken und Spiegelei) vertilgte.

Abschied

Frühstück, Packen, schnell-noch-einen-Sauna-Quicky, Zahlen, dann fuhr auch schon die Taxistin vor, die mich flugs zum Bahnhof expedierte, wo der Himmel über meinen Abschied in Tränen ausbrach und während ich dies tippe, sehe ich aus dem Zugfenster, den wolkenverhangenen Grünten

Wächter des Allgäu


kleiner werden und verspreche ihm und mir selbst, so oft und lange ich kann hierher zurückzukehren.


Hiersein ist herrlich.