Mittwoch, 26. April 2017

Côte d'Azur - Auf den Spuren Nietsches und Nobels

Die Welt — ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was ich verlor, macht nirgends Halt.

Anreisetag
Am Ostersonntag kam ich mittags am wenig geschäftigen Flughafen Köln/Bonn an und bestieg den kargen Jet, der mich umstandslos und in weniger Zeit, als ich für gewöhnlich für die Rückkehr ins nördliche Exil brauche, an die azurne Küste expedierte.
Des Koffers war sich schnellstens bemächtigt und hernach Wiedersehen mit der schon harrenden Tante gefeiert und im neuen und hochmodernen Automobile jenem altvertrauten Domizil auf dem roten Hügel zugerollt.
Bei einem Glas Safts und in der noch warmen Abendsonne sitzend erzählte ich ihr die ganze traurige Geschichte, bis unsere Aufmerksamkeit der Rückkehr des Vetters mit l’oncle und Kegel zugezogen wurde, die ein Modellflugzeug in den Bergen des Hinterlands fliegen lassen hatten.
Spätabends saß ich noch mit dem Vetter zusammen, der mir zuhörte und mir neben seinem Mitgefühl seine Überzeugung vermittelte, daß trotz der Tiefe des Abgrunds, trotz des Alters, trotz all des schon abgelebten Lebens immer noch Hoffnung auf ein neues, spätes, anderes zwar, sehr anderes doch Glück, nichtsdestoweniger, bestehe.


1. Tag

Der Tag begann damit, daß mir ein kleines Mädchen ein Schokoküken schenkte. Es hatte es in seinem Osternest gefunden und gab es mir, der ich nichts (mehr) hatte. Der Vormittag wurde meinerseits träge und lesend verbracht, während der Vetter den alten, halbtoten Baum bestieg, um ihm ein paar Äste und unschickliche Protuberanzen abzuschneiden, damit sie nicht länger den Blick in die Ferne irritieren.


Ludwig im Baume

Ich faßte gelegentlich mit zu, band Sägen an Seile, wuchtete schwere Äste aus dem Weg und kehrte schließlich zu meinem Buch zurück, bis mich der lockende Duft flammengeküßten Fleisches zur Feuerstelle lockte:

So soll es sein.


Während der Vetter dort das Beste vom Ochsen für uns briet, focht

Angriff mit Oktav


und spielte ich mit dem kleinen Mädchen,

die Ziege hat ein Glöckchen und neigte zum Ausbüchsen


um uns die Zeit zu vertreiben. Nach reichem Mahl, das wir draußen und in fröhlicher Runde einnahmen, mußte geruht werden. Mit Buch in der Sonne, die mir ein kurzes Eingedämmertsein gleich mit dem ersten Sonnenbrand des Jahres vergolten hatte. Nach angenehm untätigem Nachmittag entschloß sich die beste aller Tanten, den großen und kleinen Kindern das behaglichste und tröstendste aller Abendessen zu bereiten:

Crêpes! Bergeweise!


Schließlich, es war schon dunkel, machten sich Vetter, Kind und Kegel wieder auf nach Marseille, wo am nächsten Tag der Alltag wieder sein Geschirr über sie werfen würde und bei uns auf dem Hügel kehrte wieder Ruhe ein.



2. Tag

Von eitlem Sonnenschein geweckt, brachen die Tante und ich nach Frühstück, langen Gesprächen und kurzem Mittagsmahl auf, um nach Eze am bord-de-mer zu fahren, von wo aus ich den Chemin de Nietzsche den Hügel nach Eze hinaufzusteigen begehrte. 

Rauche und Flipflops verboten. Sympathisch, dieser Sentier

Auf diesem Weg hatte Nietzsche den dritten Teil seines Zarathustra ersonnen und ich wollte sehen und hören, was er gesehen und gehört hatte und war gespannt, was ich fühlen würde.

Dort war's auch, wo ich das Wort »Übermensch« vom Wege auflas, und dass der Mensch Etwas sei, das überwunden werden müsse,

Das Vergangne am Menschen zu erlösen und alles »Es war« umzuschauen, bis der Wille spricht: »Aber so wollte ich es! So werde ich's wollen –«

Denn noch Ein Mal will ich zu den Menschen: unter ihnen will ich untergehen, sterbend will ich ihnen meine reichste Gabe geben!

 »Und weisst du noch, oh Zarathustra? Als deine stillste Stunde kam und dich von dir selber forttrieb, als sie mit bösem Flüstern sprach: Sprich und zerbrich!« –

»- als sie dir all dein Warten und Schweigen leid machte und deinen demüthigen Muth entmuthigte: Das war Verlassenheit!« – (Kap. 64)



angekommen (Wille zur Macht hier nicht im Bild)

Oben in Eze trafen wir einander wieder

moi und Tante (hier im Bild)


und wir freuten uns am hübschen wenn auch touristenreichen Örtlein mit verwinkelten Gäßchen, eng stehenden, urigen Häuschen und Lädchen, Goldschildritter,


 Betbums,


und natürlich dem exotischen Garten mit artenreicher, blühender Pracht bei spektulärer Aussicht:
 


  

 


Wir nahmen noch ein Glaserl Sirz beim netten Spelunkenwirt, der uns frische Oliven dazu schenkte, waren's zufrieden, hießen's einen Tag und rollten der Heimstatt zu.
Abends wird es hier noch kühl und treibt einen nach drinnen, so daß ich mich und meine Zeit einer Tasse englischen Tees und altvertrauten Freunden auf DVD überantwortete und den Abend lind und sinnend ausklingen ließ.

3. Tag

Ich war zwar schon in New York aber noch niemals in Sanremo und selten und nie richtig bewußt in Italien. Beides ließ sich mit einer Fahrt 20 km über die Grenze ändern und so bestiegen die Tante und ich gefrühstückt den neuen Renault und rollten seufzend unter Albinoni, Deller und Jaroussky vorbei an zahlreichen Mautstellen in die Stadt der Blumen, wie sich Sanremo wegen seines Handels mit Nelken und Rosen auch nennt.
Als wir dort ankamen, verstand ich, warum so viele italienische Eisdielen nach dieser Stadt heißen: typisch italienisch-mediterraner als hier geht es nicht. Alles ist geschäftig, maritim, entspannt und urlaubig zugleich. Es ist bunt hier



und es gibt so viele Motorroller, daß der Sanremonit (Sanremoniker? Sanremonasse? Sanremestit?) eigene Straßenzüge bauen mußte, um all die Roller unterzustellen,


während er, ich nehme an, Rollerersatzteile und Eis kauft oder aber der Angebetenen unter dem Fenster aufwartet, die zu beehren er sich überhaupt erst auf jenes knatternde Elend begeben und durch den dichten und seine Existenz nur widerwillig anerkennenden Autoverkehr hasardeuriert hat.
Sicher wohnt die Angebetete irgendwo in einer dieser unmöglich engen, verwinkelten Gassen und Gäßchen,


in einem dieser schmalen, schmalen Häuschen im orientalisch anmutenden Gewirr der „Kasbah“ in Sanremos Altstadt „La Pigna“, wo es so viele Unterführungen,



Abzweigungen, steile Auf- und Abstiege, dunkle Gänge und Windungen gibt, daß es nicht nur eine Art hat und Freude ist, sondern sicher, wie schon damals im Mittelalter geplant, hilfreich bei der Verteidigung gegen Sarazenen, Korsaren und anderes unliebsame Gesindel von der See war. Wenn man ganz durch die Kasbah nach oben kraxelt, begegnet man einem wirklich kolossalen Gummibaum




der nicht nur sicher schon sehr alt, sondern auch enorm groß ist und seine gesamte Umgebung in Beschlag nimmt.
Wahrscheinlich hat er mit seinen Wurzeln schon längst die ganze Kasbah unterwandert und wenn er sich eines Tages zum Enting erhebt, um Rache zu nehmen, dann… doch ich schweife ab.
Wenn man schon mal in Italien ist, ist man ja kulturell verpflichtet, eines der vielen Nationalgerichte zu kosten, um zu sehen, wie es „richtig“ geht. Also kehrten wir nahe des Hafens ein und ich muß sagen: sie können es wirklich besser!

Chorizo con Peperoni.


Parallel zur Uferstraße führte uns dann eine widerlich laute, autoverpestete Straße entlang einiger prachtvoller Gärten



mit zahlreichen seltenen, exotischen Pflanzerln und Blümelein egalen Namens, die dem Auge schmeicheln oder es doch zumindest amüsieren

was erlauben Blume?


Doch nicht nur Gärten, sondern auch die ehemalige Absteige des alten Knallkopfs Alfred N. liegt an dieser Straße:



Das Türmchen rechts ist wahrhaftig mit Abertausenden von Steinchen (oder Muscheln?) verziert! Leider war die Besichtigungszeit schon vorbei, aber man darf konstatieren, daß man mit Dynamit wohl durchaus mal ’ne lange Mark machen konnte. Chjunge!!
Es war neben der Hütte auch noch ’was übrig, um sich einen Flanierpark mit Springbrunnen (die hatten ja damals nicht so viel Freizeitangebote) hinzubasteln, durch den hier die Tante im Schatten der Palmen vorbildlich flaniert:

Tante, flanierend


Hernach wurden noch kulinarische Andenken eingekauft, u.a. Melone, Parmesan, Panettone mit Mandel und Schoki und 96%iger Alkohol, den es aus welchen Gründen auch immer in Italien im Suppermarkt, in Frankreich aber noch nichtmal in der Apotheke zu erwerben gibt und dann ging’s heeme.
Also, ich muß schon sagen, der Italiener macht wahrlich vieles sehr richtig und vor allem sehr schön: seine Städte, sein Essen, seine Musik, sein Land, seine Sprache… alles bellissimo! Ich komme wieder.

4. Tag

L’oncle und Tantchen erwarteten Besuch und es sollte Moussaka geben, was mich veranlaßte, das Weite in Manifestation des Cap Ferrat zu besuchen, das ich zu umrunden trachtete. Bei bestem Wetter und mit Stefan Zweigs Sternstunden auf den Ohren rollte ich, stets entlang des Meers, über den Beal und die Promenade des Anglais, vorbei am Hafen und um Nizza ’rum bis zum Cap wo ich parkte und zunächst die mondände Umgebung zur Kenntnis nahm:




Man macht dort, der Kriegstoten gedenkend, auch deutlich, daß man sich durchaus für wehrhaft hält und zeigt, daß man über die nötige Artillerie verfügt, um etwaige Übergriffigkeiten geziemend zu beantworten.

they don't need higher power when they're rockin' deese guns

Apfelessend und orgelhörend betrat ich dann gemessenen Schritts den Sentier littoral und gewahrte die Pracht allenthalben:




 Auch Familie Angeber aus dem fernen Ausland hatte das schöne Wetter zu einer kleinen Ausfahrt in ihrem mit bloßem Auge kaum zu erkennenden Zweityächtelchen verlockt. Versteht sich von selbst, daß man auf diesen Kahn mit dem noch drauf stehenden Helikopter gelangt:

der kleine weiße Fleck unter dem Schwimmphallus ist keine Bildstörung sondern ein Boot in einer non-kompensatorischen Größe
 Tja. Was soll man sagen? Ich bin sicher, daß es bei der Herbeischaffung der grotesken Menge Schotters, den der Ankauf der ollen Barkasse aufgezehrt haben dürfte, komplett mit rechten Dingen zugegangen ist. :-/

Schon war ich um’s Cap herum und es Zeit, heeme zu fahren (mit dor Scheise hieor). Das vertraute Domizil erreichte ich allerdings erst nach einer überaus abenteuerlichen, serpentinenreichen und offenbar der sehr originellen, instinktiven und von einer nachgerade barocken Lust an der Improvisation charakterisierten Arbeitsweise des Navigationssystems an Bord geschuldeten Fahrt. Man gönnt sich ja sonst nichts.

5. Tag

Dieser Tag stand im Zeichen gehaltvollen Daheimbleibens und wurde mit Nichtstun,




Faullenzen,


Ausruhen, Müßiggang bzw. –liegen und mit Nahrungsaufnahme, die mit der körperlichen Aktivität an diesem Tag in keinem sonderlich schmeichelhaften Verhältnis stand, verbracht.



nuff said.
 
6. Tag

Am vorletzten Tag, der zugleiche der Tag der Erde war, verlangte es meine Pflicht als Wissenschaftler, am „March for Science“, einer weltweiten Demonstration für den Stellenwert der Wissenschaft und besseren Dialog zwischen Wissenschaftlern und Bevölkerung, teilzunehmen.



Da die Veranstaltung auch eine Dependence in Nizza hatte, fuhr ich hin und zeigte (mangels Flagge) Präsenz.



Leider war die Veranstaltung weder von besonders reger Teilnahme noch von sonderlich entschlossener Organisation bzw. ansprechender Aufmachung geziert, was mit ihrem Anlaß und der Bedeutung ihres Gegenstands, wie ich fand, in einem beklagenswerten Mißverhältnis stand.

die Spatzen pfeifen's von den Dächern, die aber, die nicht hören können, müssen wohl lesen

eher mau
Dafür erhielt mein überaus cooles T-Shirt die gebührende Aufmerksamkeit und ich lernte neue nette Menschen kennen, die aus den USA hierher in die Zivilisation rübergemacht hatten.

mein neuer franco-amerikanischer Kumpel Thierry fand's auch


Auch die Kulisse, genannt Nizza, dürfte den meisten anderen Austragungsorten des Marsches in puncto Schönheit, Glamour und Savoir-vivre klar überlegen sein. Was ich zum Anlaß nahm, nach pflichtgetreuer Anwesenheit noch ein wenig durch diese herrliche Stadt zu strawanzen.

Vorbei an Oper

und Justizpalast.



Selbst das Meer war an diesem Tag in Bestform und heftiger Bewegung.




Am 7. und letzten Tag
begleitete ich die werten Anverwandten als neutraler ausländischer Wahlbeobachter zur an diesem Tage anstehenden Präsidentschaftswahl.

pflichtschuldige Verwandte gehen zur Wahl
 Ich hatte zu bemängeln, daß bei der Methode, die Namen der wählbaren Personen in Form von Zettelstapeln, die man sich in die Wahlkabine nehmen muß, anzubieten


eine Beeinflussung schon dadurch erfolgen kann, daß die Stapel nicht alle gleich hoch sind und so der Wähler dahingehend gelenkt werden könnte, auch von dem kleinen Stapel, von dem offenbar die meisten vor ihm auch genommen haben, zu nehmen. Ich würde aber nicht soweit gehen, von Unregelmäßigkeiten zu sprechen ;-)

Und das hier an der Wand einer Grundschule fand ich schon etwas bedrückend:


Nach der Wahl hieß es, Abschied nehmen und den langen Weg in den Norden antreten. Alles verlief erwartungsgemäß und arm an Komplikationen und ich bin zurück in der kalten Interimsheimat, wo es noch schneit und nur ein Tollhäusler an kurze Hosen, die mir in dieser Woche im Süden beständiges Beinkleid waren, denken würde.

Und so endet eine – unter den gegebenen Umständen  - wirklich schöne und erholsame Auszeit an einem besseren Ort in prachtvoller Umgebung mit lieben, verständnisvollen Menschen.


es kann nicht immer regnen.